Novellierung des Patentgesetzes in
China – Neue Patentverletzungsrisiken und Forum Shopping-Optionen?
Ein Beitrag von RA Prof. Dr. Nils Heide
In der Volksrepublik China findet in Kürze ein neues Patentgesetz Anwendung. Einen Überblick über die 4. Novelle des chinesischen Patentgesetzes und besonders relevante Vorschriften gibt Nils Heide.
Am 1. Juni 2021 wird die 4. Patentrechtsnovelle in Kraft treten, welche am 17. Oktober 2020 durch den ständigen Ausschuss des nationalen Volkskongresses verabschiedet wurde. Der Entscheidung war eine längere Diskussion mit ungewöhnlich häufigen Verschiebungen vorangegangen. Als Erklärung kann der Handelskonflikt zwischen den USA und China herangezogen werden, in dem Fragen des Schutzes des geistigen Eigentums eine erhebliche Rolle spielten. Die Reform war jedoch auch eingebettet in eine wesentliche Umstrukturierung der Verwaltung in den Jahren 2019 und 2020, in welcher die relevanten Patent- und Markenämter in einer Behörde, der China National Intellectual Property Administration (CNIPA), verschmolzen wurde, die unter der Aufsicht des State Administration for Market Regulations (SAMR) steht. Insoweit erfolgte eine Zentralisierung aller wesentlichen Behörden für den Schutz des geistigen Eigentums und eine Integrierung in die zentrale Wirtschaftsverwaltung. Diese Umstrukturierung des Patentsystems fügt sich in den Plan „Made in China 2025“ ein, der bereits 2015 beschlossen wurde und der eine gezielte Förderung des Aufstiegs Chinas zur führenden Technologienation vorsieht.
Die mehrfache Verschiebung der 4. Patentrechtsnovelle reflektiert aber auch einen komplexen Entscheidungsprozess der chinesischen Regierung, der mögliche Zielkonflikte erkennen lässt. So dürfte die chinesische Regierung erkannt haben, dass die in den vergangenen Jahren explosionsartig steigende Anzahl chinesischer Patentanmeldungen nach einer Justierung verlangt, die einerseits eine Blockierung durch nicht bestandskräftige Schutzrechte sowie eine Überfrachtung des Patentsystems vermeidet und andererseits legitime Patentpositionen und deren Durchsetzung stärkt.
Vor diesen Hintergründen ist die 4. Patentrechtsnovelle zu betrachten, welche einige bemerkenswerte Änderungen beinhaltet. Nachfolgend sei beispielhaft auf einige wesentliche Neuregelungen eingegangen:
Die Rufe nach einer Verschärfung des Sanktionssystems bei Schutzrechtsverletzungen führte zu einer Regelung, welche bei einer vorsätzlichen Verletzung eine Verfünffachung des Schadensersatzes ermöglicht. Eine vollständige Ausschöpfung dieses Faktors ist insbesondere dann zu erwarten, wenn mehrfach eine vorsätzliche Verletzung erfolgte oder gleich mehrere Patente des Patentinhabers betroffen sind bzw. Indizien für eine systematische Nachahmung vorliegen, da z.B. flankierend auch Produktmarken, Marketingmaterial etc. betroffen sind. Weiterhin wurde die Obergrenze für den gesetzlichen Schadensersatz von 1 Million RMB auf 5 Millionen RMB, umgerechnet ca. 640.000 Euro, erhöht. Diese Methodik der Schadensersatzkalkulation soll nach dem gesetzlichen Leitbild eigentlich nur dann greifen, wenn der durch die Verletzungshandlung verursachte entgangene Gewinn, der Verletzergewinn oder eine angemessene Lizenzgebühr nicht bestimmbar sind, jedoch zeigt bereits ein Blick auf die bisherige Praxis, dass die chinesischen Gerichte in der Mehrheit der Verletzungsstreitigkeiten die Kompensationen in Ausübung des Ermessens nach der Methode des gesetzlichen Schadensersatzes festlegen. Ähnliche Neuregelungen zur Anhebung des Maximalbetrages für den gesetzlichen Schadensersatz gab es bereits zuvor in Bezug auf die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen in der Gesetzesreform vom 23. April 2019 (Art. 17 und 21 des chinesischen Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb) sowie in der Novellierung des Markengesetzes vom 1. November 2019 (Art. 63 des chinesischen Markengesetzes) und im Urheberrecht (Art. 54 des chinesischen Urheberrechts). Diese Änderungen des Schadensersatzsystems dokumentieren erneut eine klare Abkehr von dem früher geltenden Ausgleichsprinzip zu einem Strafschadensersatz mit einer höheren Abschreckungswirkung.
Die zuvor geltende 2-jährige Verjährungsfrist wurde zur Harmonisierung mit den zivilrechtlichen Vorschriften auf 3 Jahre verlängert.
Von besonderer Relevanz könnte sich in Zukunft auch die in Art. 20 des novellierten PatG eingefügte Regelung erweisen, welche einen Verweis auf das chinesische Kartellrecht enthält und feststellt, dass dann, wenn die Patentausübung zu einer Beschränkung des Wettbewerbs führt, das Kartellrecht greift. Die kartellrechtliche Dimension der mit einer Monopolgewährung verbundenen Patentposition wird damit auch im Gesetzeswortlaut ausdrücklich anerkannt. Es kann davon ausgegangen werden, dass hierin auch ein Instrument gestärkt wird, um mögliche patentflankierte Sonderstellungen der sich dynamisch entwickelnden chinesischen Technologiegiganten zu bändigen und auch ausländische Markteilnehmer dürften die auf Grundlage des Kartellrechts auferlegten Beschränkungen der Ausübung von Patenten aufmerksam beobachten. Bereits die jüngsten intensiven Auseinandersetzungen in China zu standardessentiellen Patenten (SEPs) zeigen die Dynamik kartellrechtlicher Fragestellungen auch in der chinesischen Patentdurchsetzung.
Weiterhin ergibt sich durch die 4. Patentrechtsnovelle eine Verbesserung des Beweislastsystems in dem Sinne, dass der Pateninhaber einen leichteren Zugang zu Unterlagen und Informationen in der Hand des Patentverletzers erlangen kann, soweit er den Nachweis führt, dass er hinreichende eigene Bemühungen zur Ermittlung der Informationen unternommen hat (siehe Artikel 71 des chinesischen Patentgesetzes). Ähnliche Beweiserleichterungen wurde auch in Art. 63 des chinesischen MarkenG, im Art. 32 des chinesischen Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und in Art. 54 des chinesischen UrhG eingeführt.
Zudem wurde Artikel 66 des neuen chinesischen Patentgesetzes um die Möglichkeit der Erlangung eines kommentierten Rechercheberichts hinsichtlich der Schutzfähigkeit eines geltend gemachten Gebrauchsmusterrechts beziehungsweise Designpatents erweitert. Insbesondere ist dort nunmehr ausdrücklich vorgesehen, dass der angegriffene Schutzrechtsverletzer eine solche Recherche veranlassen kann. Mit Blick auf die sehr hohe Anzahl von Anmeldungen zu diesen ungeprüften Schutzrechtskategorien in China und die damit verbundene Bedrohungswirkung auch für ausländische Markteilnehmer ist diese Änderung relevant.
Ausgeweitet wurden darüber hinaus in den Artikeln 68 und 70 des chinesischen Patentgesetzes die Möglichkeiten der Patentdurchsetzung durch die Verwaltungsbehörden. So ist es eine Besonderheit des chinesischen Patentsystems, dass neben dem klassischen zivilprozessualen Weg auch die Möglichkeit der Patentdurchsetzung durch die Einschaltung der Verwaltungsbehörden bestand. Dieser bestehende Dualismus wurde durch die Ausweitung der Instrumente gestärkt. Die zuvor beschriebene Zentralisierung zielt auf die mit der Bündelung von Kompetenzen verbundenen Effizienzvorteile. Auch wenn die Durchsetzung mittels der Verwaltungsbehörden vornehmlich eine Rolle in Produkt- und Markenpirateriefällen spielt, so ergibt sich doch durch die 4. Patentrechtsnovelle auch eine Verschärfung des Sanktionssystems, da die Möglichkeit der Verhängung von Geldstrafen erweitert wurde (Artikel 68 des neuen chinesischen Patentrechts).
Ausdruck der Wahrnehmung des zuvor beschriebenen Risikos einer Blockierung durch die stark angestiegenen Patentanmeldungszahlen dürfte die Regelung in Artikel 50 des chinesischen Patentgesetzes sein, durch welche die Möglichkeit eingeführt wurde, dass der Patentanmelder eine Lizenzbereitschaftserklärung abgibt und auf diesem Wege zu erkennen gibt, dass er bereit ist, gegen Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr, Nutzungsrechte an seiner Patentposition einzuräumen. Der Regelungsgehalt orientiert sich erkennbar auch an der deutschen Lizenzbereitschaftserklärung.
Neu ist darüber hinaus die Möglichkeit einer Verlängerung der Patentlaufzeit im Falle einer nicht vom Anmelder zu vertretenden Verzögerung des Erteilungsverfahrens. Für pharmazeutische Patente ist eine Verlängerung der Schutzdauer in Ansehung des Arzneimittelzulassungsverfahrens vorgesehen.
Ausdruck internationaler Harmonisierungsbemühungen ist die Verlängerung der Schutzdauer von Designpatenten, welche in China im Patentgesetz geregelt sind, von 10 auf 15 Jahre. Zudem wird nunmehr mit der Zulassung eines Designschutzes für Teile eines Gesamterzeugnisses eine wesentliche Hürde des chinesischen Designschutzes beseitigt.
Eine durch die Corona-Pandemie bedingte Regelung hat in Art. 24 Abs. 1 des neuen chinesischen Patentgesetzes Eingang gefunden, in dem eine Neuheitsschonfrist für Veröffentlichungen eingeführt wurde, die im öffentlichen Interesse erfolgten. Diese Regelung dürfte vornehmlich dadurch motiviert sein, die Einführung neuer Medikamente und Impfstoffe nicht durch vorangehende Patentierungsschritte zu verzögern. Die Regelung ist nicht pandemiespezifisch formuliert, jedoch ist vermutlich nicht von einem breiten Anwendungsbereich auszugehen.
Art. 15 Abs 2 des neuen chinesischen Patentgesetzes motiviert Unternehmen nunmehr, Erfindungen von Mitarbeitern auch mit Unternehmensanteilen und Optionen zu kompensieren, d.h. es wird eine Flexibilität zur Vergütung von Arbeitnehmererfindungen geschaffen.
Insgesamt zielt die aktuelle Gesetzesreform auf eine Stärkung des Patentschutzes. Bereits mit der 3. Patentrechtsnovelle im Jahr 2009 wurden wesentliche Verbesserungen der Patentdurchsetzung eingeführt. Insbesondere erfolgte eine Verbesserung der Rechtsverfolgung. In der oberflächlichen Betrachtung wurde diese Entwicklung dem ausländischen Druck auf das Produktpiraterieland China zugeschrieben. Dies verkennt jedoch, dass sich parallel hierzu ein sehr starker Anstieg von Patentanmeldungen chinesischer Unternehmen ergab. Von Seiten des chinesischen Staates erfolgte eine gezielte Förderung von Schutzrechtsanmeldungen, um die eigene Patentbasis der wachsenden Zahl chinesischer Technologieunternehmen zu stärken.
In den vergangenen Jahren gehörte China auch zu den Ländern mit den meisten Patentverletzungsstreitigkeiten weltweit, wobei diese Streitigkeiten vornehmlich zwischen chinesischen Unternehmen geführt wurden, d.h. es gibt eine wachsende Instrumentalisierung von Patenten durch chinesische Unternehmen im Wettbewerb. Nur ein geringer Anteil der Streitigkeiten bezog sich auf die Durchsetzung ausländischer Unternehmen gegen chinesische Produktpiraten. Besondere Aufmerksamkeit finden zunehmend Klagen chinesischer Unternehmen gegen ausländische Unternehmen. Wenn man den weltweit einzigartigen Anstieg der chinesischen Patentanmeldungszahlen in den vergangenen Jahren betrachtet und von einer nach wie vor hohen Erteilungsquote in den nächsten Jahren ausgeht, dürfte in Zukunft mit einer Häufung entsprechender Patentauseinandersetzungen in verschiedenen Technologiefeldern zu rechnen sein, d.h. auch mit einem wachsenden Risiko für Unternehmen, welche auf dem chinesischen Markt agieren oder dort Herstellungskapazitäten nutzen. Die Verbesserung der prozessualen Durchsetzungsinstrumente in der 4. Patentrechtsnovelle macht China zudem im internationalen Vergleich zu einem attraktiven „Forum Shopping“-Standort in Patentstreitigkeiten.
Anm. d. Red.: Der novellierte Gesetzestext ist hier in der offiziellen chinesischen Fassung und hier in inoffizieller englischer Übersetzung abrufbar.
Prof. Dr. Nils Heide ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Gleiss Große Schrell & Partner sowie Lehrbeauftragter für Patentrecht an der Hochschule der Medien in Stuttgart.