Schwerpunkte der jüngeren Rechtsprechung des Bundespatentgerichts
Ein Beitrag von VorsRiBPatG Thomas Voit
Die Rechtsprechung des Bundespatentgerichts, ihre „Dauerbrenner“ und neuere Entwicklungen beleuchtet Thomas Voit in einem zusammenfassenden Überblick. Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, den Herr Voit bei den 19. Düsseldorfer Patentrechtstagen 2021 gehalten hat.
Die nachfolgend wiedergegebenen Entscheidungen betreffen lediglich eine kleine und subjektiv bestimmte Auswahl der Entscheidungen des Bundespatentgerichts aus der letzten Zeit, betreffend die Technischen Beschwerde- und Nichtigkeitssenate. Für einen umfassenderen Überblick über die Rechtsprechung des Bundespatentgerichts sei auf die jeweiligen, vom Gericht herausgegebenen Jahresberichte verwiesen (Die Jahresberichte ab dem Jahr 2010 sind hier abrufbar).
I. Statistisches
Die nachfolgende Übersicht gibt einen Überblick über den Geschäftsanfall der technischen Beschwerde- und der Nichtigkeitssenate im Jahr 2019:
Für das Jahr 2020 sehen die Zahlen folgendermaßen aus:
Daraus wird deutlich, dass trotz eines für die Nichtigkeitssenate relativ ruhigen Jahres 2020 immer noch ein relativ hoher Zugang zu verzeichnen war, gleichwohl die beruhigte Situation nicht im gewünschten Maß zum Abbau des immer noch vorhandenen Rückstaus genutzt werden konnte (dieser resultierte insbesondere noch vom Jahr 2016 mit 284 Eingängen). Bedauerlicherweise hat sich im Jahr 2019 die durchschnittliche Verfahrensdauer im Nichtigkeitsverfahren auf inzwischen 27,8 Monate erhöht. Im Einzelnen ergibt sich folgende Entwicklung der Verfahrensdauer:
Daraus wird aber auch deutlich, dass eine Synchronisierung mit dem Verletzungsverfahren nach wie vor ein Wunschdenken bleibt, jedenfalls soweit die erste Instanz betroffen ist. Nicht zuletzt das war der Grund für den Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts, das – soweit hier von Interesse – ein Fristenregime einführt, wonach der beklagte Patentinhaber nach Einlegung zwei Monate Zeit zur Begründung des Widerspruchs bekommt (so die Neufassung des § 82 Abs. 3 PatG), die einmalig bei Darlegung „erheblicher Gründe“, die glaubhaft zu machen sind, um einen Monat verlängert werden kann. Des Weiteren sieht dieser Entwurf vor, dass der qualifizierte Hinweis innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage „erfolgen soll“ (so die Neufassung des § 83 Abs. 1 S. 2 PatG). Inwieweit dieses an sich wünschenswerte straffe zeitliche Gerüst in der Praxis durchhalten lässt, vermag ich derzeit nicht abschließend zu beurteilen; zu bedenken wird aber sicher sein, dass einmal das Problem nicht die Neueingänge darstellen, sondern die noch abzuarbeitenden Altfälle; zum anderen bedeutet dies im Ergebnis eine erneute und vertiefte Prüfung des erteilten Patents, nicht aber zwangsläufig eine Straffung des Streitstoffs, der sich auch bisher schon erst nach dem qualifizierten Hinweis bestimmen lässt (Schon bisher entspricht es der Praxis, dass erst nach Zugang des Hinweises die Verteidigung mit Hilfsanträgen erfolgt, was ja denknotwendigerweise vorher auch nicht möglich ist; diese Verteidigung kann dann auch neue Angriffsmittel bedingen). Zudem ist zu berücksichtigen, dass eine Frist von zwei oder maximal drei Monaten zur Verteidigung eines Patents, das vielleicht seit geraumer Zeit wirtschaftlich bedeutsam genutzt wird, im Einzelfall sehr knapp bemessen sein kann.
II. Dauerbrenner: Standardessenzielle Patente
Hinter dieser – zugegebenermaßen salopp gefassten – Überschrift verbirgt sich ein ernstes Problem, das seit etwa einem Jahrzehnt die Nichtigkeitssenate des BPatG besonders belastet. Differenzierter betrachtet geht es dabei nicht um die Frage der Patentierung eines Standards – dies stellt eher ein kartellrechtliches Problem dar (vgl. dazu nur das Verfahren Huawei gegen ZTE, EuGH, Urt. v. 16.07.2015, C-170/13 und zuletzt BGH, Urt. v. 05.05.2020, KZR 36/17 – Sisvel gegen Haier; BGH, Urt. v. 24.11.2020, KZR 35/17 – FRAND-Einwand II) – sondern darum, dass aufgrund betriebswirtschaftlichen Handelns viele standardrelevante Patente in den Handel gelangt sind. Anders als bei Verfahren zwischen Wettbewerbern führt dies zu einer rigorosen Durchsetzung von Schutzrechten und als Reaktion hierauf zu einer Vielzahl von Nichtigkeitsverfahren gegen solche Patente. Einen Standard bildende Schutzrechte zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass ein langer Weg von Treffen zwischen Vertretern beteiligter Unternehmen zum Ergebnis führt, so dass allein der Umfang eines solchen Verfahrens mehrere tausend Seiten umfassen kann. Auch wenn ein großer Teil dieses Materials für die Entscheidung nicht von Bedeutung sein mag, bedarf er doch der Sichtung auf seine Relevanz, was einen erheblichen Zeitaufwand bedeuten kann. Gleichzeitig führt die Vermarktung der Schutzrechte dazu, dass in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle eine gerichtliche Entscheidung als unverzichtbar angesehen wird und eine gütliche Einigung nicht möglich ist.
Standardessenzielle Patent zeichnen sich durch einen längeren Vorlauf aus, bei dem im Wege einer Vielzahl von Zusammenkünften unter der Ägide der jeweiligen Standardisierungsorganisation von daran beteiligten Personen der Standard entwickelt und schließlich beschlossen wird. Daraus folgt, dass in einem Nichtigkeitsverfahren dem Streitpatent regelmäßig eine Vielzahl von mehr oder weniger dem Standard entsprechenden Dokumenten aus diesem Vorlauf entgegengehalten wird, sei es unter dem Gesichtspunkt behaupteter fehlender Neuheit oder fehlender erfinderischer Tätigkeit. Ein Problem taucht hierbei immer wieder auf, nämlich die Frage, ob, und wenn ja, inwieweit diese Vorläuferdokumente der Öffentlichkeit zugänglich waren. Vor Verabschiedung eines Standrads hat naturgemäß keiner der an der Erarbeitung Beteiligten ein Interesse daran, Einzelheiten in die Öffentlichkeit zu geben, weshalb allgemein in diesen Gruppen eine Vertraulichkeitsvereinbarung – zumindest stillschweigend – besteht. Sowohl der 2. Senat (Urt. v. 10. Oktober 2019, Az. 2 Ni 15/17 (hinzuverb. 2 Ni 16/17)) als auch der 5. Senat (Urt. v. 12. Februar 2020, Az. 5 Ni 50/16 (hinzuverb. 5 Ni 51/16)) hatten sich mit dieser Frage im Zusammenhang mit der ITU zu befassen. Beide Senate gelangten insoweit zur Annahme einer öffentlichen Zugänglichkeit, da die ITU über 193 Mitgliedsstaaten sowie über mehr als 900 weitere Mitglieder verfügt, wobei nicht nur Unternehmen zu den Mitgliedern zählen, sondern auch Universitäten (die ITU beziffert diesen Personenkreis auf mehr als 20.000 Personen („…community of more than 20000 professionals…“)). Da sich ausweislich einer Beweisaufnahme im Rahmen des Verfahrens des 5. Senats ergab, dass die fraglichen Dokumente von jedem Mitglied einzusehen gewesen wären, gingen der 2. und der 5. Senat von einer öffentlichen Zugänglichkeit der fraglichen Dokumente im Sinne eines nicht abgrenzbaren Personenkreises aus. Anders kann es sich bei internen Dokumenten verhalten (Urt. v. 18.09.2019, Az. 2 Ni 14/17 (hinzuverb. 2 Ni 20/17), insbesondere wenn die Zeitspanne zwischen möglicher Veröffentlichung und Kenntnisnahme durch die Öffentlichkeit sehr knapp bemessen ist (Im vorliegenden Fall (2 Ni 14/17) handelte es sich im Ergebnis um einen Tag).
Ein anderes Problem stellte sich bei einer Entscheidung des 5. Senats (Urt. vom 10.05.2017, Az. 5 Ni 54/16 (wirkungslos wegen Klagerücknahme)): Hier ging es um die Frage, ob eine Offenlegungsschrift dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents neuheitsschädlich entgegensteht. Die Besonderheit bestand darin, dass – wie häufig – diese Offenlegungsschrift ihrerseits auf Vorveröffentlichungen Bezug nahm. Der Senat entschied anhand der vom BGH in der Entscheidung „Olanzapin“ (BGH, Urt. v. 16.12.2008, Az. XZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 25) aufgestellten Grundsätze, dass eine Vorveröffentlichung dem angesprochenen Fachmann auch solche Informationen über einen technischen Sachverhalt vermitteln kann, die zwar nicht ausdrücklich dargestellt werden, sich aber bei der Befolgung der in ihr enthaltenen Anweisungen quasi zwangsläufig ergeben. Insbesondere werden durch die Beschreibung eines Verfahrens der Fachwelt die Kenntnisse zugänglich gemacht, die bei der Nacharbeitung zwangsläufig offenbar werden (unter Bezugnahme auf BGH, Urt. v. 14.08.2012, Az. XZR 3/10 – UV-unempfindliche Druckplatte; BGH, Urt. v. 17.01.1980, Az. XZR 4/79; BGHZ 76, 79 – Terephtalsäure) und so stellte der Senat fest, diese allgemein bei der Neuheitsprüfung anzuwendenden Grundsätze entfalten auch Wirkung für die bei der Prüfung auf Neuheit zu berücksichtigenden Anmeldungen mit älterem Zeitrang (zustimmend der 4. Senat, Urt. v. 22.08.2018, Az. 4 Ni 36/16 (hinzuverb. 4 Ni. 40/16, 4 Ni 43/16 und 4 Ni 44/16) und Urt. v. 26.03.2019, Az. 4 Ni 25/17). Dennoch ist aber zu beachten, dass der in Bezug genommene Text im Regelfall, sofern er nur eine erneute Wiedergabe ersetzt, nicht verändert wird. Gleichwohl kann es sich im Einzelfall aber auch so verhalten, dass durch den konkreten Zusammenhang mit dem bezugnehmenden Dokument eine Veränderung stattfindet, weshalb der in Bezug genommene Text nicht mit dem Wortlaut, sondern im Umfang seiner Offenbarung zu würdigen ist, also, entsprechend dem Sinngehalt der Ausführungen, die auf ihn Bezug nehmen. Es bedarf daher einer wertenden Betrachtung.
III. Weiterer Dauerbrenner: Vorbringen nach den im Hinweis gesetzten Fristen
Hierbei handelt es sich – seit Inkrafttreten des PatRModG – um einen echten Dauerbrenner, der immer noch aktuell ist. Insoweit ist – ohne dezidierte Bezugnahme auf ein aktuelles Verfahren – der Hinweis auf die gesetzliche Reglung des § 83 Abs. 4 Nr. 2 PatG geboten, wonach ein verspätetes Vorbringen grundsätzlich zu entschuldigen ist (Bei den Ziffern 1 bis 3 des § 83 Abs. 4 PatG handelt es sich um kumulativ zu beachtende Voraussetzungen (vgl. Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl., § 83, Rdnr. 30)), wobei der an die Sorgfalt anzulegende Maßstab der Ausfüllung durch die Rechtsprechung überlassen wurde (BT-Drs. 16/11339, S. 33). Leider ist es fast der Regelfall, dass weder die Verspätung entschuldigt noch – wie S. 2 des § 83 Abs. 4 PatG verlangt, dies glaubhaft gemacht wird, was immer wieder zu Zurückweisungen führt (z.B. Urt. v. 19.09.2018, 5 Ni 44/16, bei juris Rdnr. 124 ff., S. 22, 2. Absatz; wirkungslos; auch 2 Ni 5/17 (hinzuverb. 2 Ni 12/17 und 2 Ni 13/17), Urt. v. 24.01.2019, Abschnitt III, bei juris Rdnr. 289 ff.).
Die Praxis der Nichtigkeitssenate des BPatG ist zwischenzeitlich dazu übergegangen, an sich verspätete Haupt- oder Hilfsanträge auch dann im Rahmen der mündlichen Verhandlung dann zuzulassen, wenn sie einmal eine Reaktion auf das Ergebnis der mündlichen Verhandlung bilden und zum anderen nur in der Einfügung von Merkmalen aus verfahrensgegenständlichen, also streitbefangenen, Ansprüchen bestehen (vgl. dazu BGH, GRUR 2017, 604 – Ankopplungssystem). Dies wird insbesondere dann zu gelten haben, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts dem Patentinhaber erstmalig bekannt wird, etwa bei auf den Hinweis erfolgten Hilfsanträgen und wenn die Veränderung gegenüber der bereits bekannten Antragstellung so gestaltet ist, dass es der Gegenseite zuzumuten ist, sich sofort darauf einzulassen. Dies wird jedoch insbesondere bei Einführung eines neuen Standes der Technik nicht gegeben sein (Urt. v. 24.01.2019, Az. 2 Ni 5/17). Eventuell kann eine Zulassung auch auf einer rügelosen Einlassung des Gegners beruhen (so der 6. Senat (unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des 3. Senats vom 15. November 2011, 3 Ni 27/10), Urt. v. 3. Februar 2020, Az. 6 Ni 45/16 (EP) (hinzuverb. 6 Ni 13/17 (EP) und 6 Ni 28/18 (EP))).
IV. Patentfähigkeit allgemein
Hier handelt es sich um die Beschwerde eines Anmelders, dessen Anmeldung vom DPMA wegen fehlender Technizität zurückgewiesen worden war. Dieser Patentanmeldung lag ein Anspruch zugrunde, der schon auf den ersten Blick Zweifel an der Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln aufkommen ließ. Der fragliche Anspruch 1 lautete:
- Vertriebssteuerung eines realen Produkts über die Darstellung echter Kundendaten in der virtuellen Welt eines Computerspiels, dadurch gekennzeichnet, dass die realen Kundendaten und deren Beratungsbedarf in der Spieloberfläche virtuell darstellbar sind.
In seiner Entscheidung stellte der 17. Senat (Beschluss vom 5.02.2020, Az. 17 W (pat) 21/18) darauf ab, dass es sich bei dem beanspruchten Verfahren nicht um ein Verfahren zur Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln (vgl. dazu BGH, GRUR 2010, 613 – Dynamische Dokumentengenerierung; GRUR 2011, 610 – Webseitenanzeige), sondern um ein Verfahren für geschäftliche Tätigkeiten handelt. Jedoch liegt der Fall nicht immer so klar, so ging es in einer Entscheidung des 5 Senats vom 20. Juni 2018 (Az. 5 Ni 38/14 (hinzuverb. 5 Ni 40/14)) um die Findung von Framesynchronisierungssequenzen in einer Mobilfunkumgebung, die anstelle der dem Stand der Technik zuzurechnenden Goldcodes auf eine Folge von Walsh-Hadamard-Sequenzen zurückgriff. Der Senat sah darin allerdings keinen technischen Beitrag zur Lösung eines konkreten technischen Problems, da die Findung solcher Sequenzen der technischen Problemlösung vorgelagert und von nichttechnischen Überlegungen zum Auffinden orthogonaler Sequenzen mit guten Autokorrelationseigenschaften gekennzeichnet ist (5 Ni 38/14, Abschn. III 1. (bei juris Rdnr. 331) unter Bezugnahme auf BGH GRUR 2004, 667 – elektronischer Zahlungsverkehr; GRUR 2011, 610 – Webseitenanzeige).
Bei der fehlenden Neuheit handelt es sich um einen Widerrufs- bzw. Nichtigkeitsgrund, der wieder vermehrt in den Fokus rückt – jedenfalls nach der subjektiven Auffassung des Verfassers. Der 14. Senat hatte sich in einer Entscheidung vom 17. Oktober 2017 (Az. 14 W (pat) 5/16, Einspruchsbeschwerde) mit dem Sonderfall der Nacharbeitung zu befassen. Die Einsprechende hatte ein Beispiel aus einer in der Patentschrift als Stand der Technik angegebenen Offenlegungsschrift nachgearbeitet und vorgetragen, dass bei dieser Vorgehensweise der Rohling nach der ersten Wärmebehandlung Lithiummetasilicat als eine Hauptkristallphase, entsprechend den Merkmalen des ursprünglich erteilten Patentanspruchs 1, enthalte. Dabei war von einer Zusammensetzung gemäß einer ebenfalls in dieser Offenlegungsschrift enthaltenen Zusammensetzung ausgegangen worden. Die Patentinhaberin wandte hiergegen ein, die Nacharbeitung genüge nicht den vom BGH (Urt. v. 15.03.2011, Az. XZR 58/08 – Metazachlor) und vom BPatG (Urt. v. 11.10.2016, Az. 3 Ni 5/15 (EP)) aufgestellten Grundsätzen, da etwa eine Analyse des Ausgangsglases, die eine Zusammensetzung nach der Tabelle ergebe, nicht vorgelegt worden sei. Der Senat schloss sich dieser Argumentation nicht an, da Angaben hinsichtlich der Schlackenbildung bzw. Abdampfungen, die zu einer geänderten Zusammensetzung des Ausgangsglases im Vergleich zu den eingesetzten Mengen der Ausgangskomponenten führen könnten, in der Offenlegungsschrift nicht enthalten seien, was zu Lasten der darlegungs- und beweispflichtigen Patentinhaberin gehe. Aus diesem Grund sei die Nacharbeitung als identisch zu beurteilen.
V. Sammelsurium
Hierunter sollen Entscheidungen erwähnt werden, die keine unmittelbaren Patenthindernisse betreffen, sondern entweder nicht existenten Patenthinderungsgründen widerstreiten oder aber Nebenentscheidungen beziehungsweise Verfahrensfragen betreffen.
1. Keine neuen Zurückweisungsgründe bei der Anmeldung
So hatte sich der 11. Senat in einer Entscheidung vom 17. Dezember 2018 (Az. 11 W (pat) 24/14 – Abgassteuersystem = Mitt. 2019, 501) mit einer Anmelderbeschwerde zu befassen, die sich gegen die Zurückweisung einer Patentanmeldung durch die zuständige Prüfungsstelle des DPMA richtete. Die Zurückweisung durch das DPMA war damit begründet worden, es sei bei Anspruch 1 der Anmeldung unklar, was unter Schutz gestellt werden solle. Anspruch 1 des streitgegenständlichen Dokuments DE 10 2011 018 451 A1 lautete:
- Abgassteuersystem, umfassend: ein Absorptionsratenschätzmodul, das eine Kohlenwasserstoffenergieabsorptionsrate einer Komponente eines Abgassystems schätzt; ein Desorptionsratenschätzmodul, das eine Kohlenwasserstoffenergiedesorptionsrate der Komponente schätzt; ein Änderungsratenmodul, das eine Änderungsrate gespeicherter Energie auf Grundlage einer Differenz zwischen den Kohlenwasserstoffabsorptions- und -desorptionsraten bestimmt; ein Freisetzratenschätzmodul, das eine Kohlenwasserstoffenergiefreisetzrate für die Komponente auf Grundlage der Änderungsrate gespeicherter Energie schätzt; und ein Kraftstoffsteuermodul, das eine Rate der Kraftstoffinjektion in das Abgassystem stromaufwärts eines Oxidationskatalysators auf Grundlage der Kohlenwasserstoffenergiefreisetzrate steuert.
Erteilt wurde der Anspruch schließlich mit folgendem Wortlaut (DE 10 2011 018 451 B4):
- Abgassteuersystem, umfassend: ein Absorptionsratenschätzmodul, das eine Kohlenwasserstoffenergieabsorptionsrate einer Komponente eines Abgassystems schätzt; ein Desorptionsratenschätzmodul, das eine Kohlenwasserstoffenergiedesorptionsrate der Komponente schätzt; ein Änderungsratenmodul, das eine Änderungsrate gespeicherter Energie auf Grundlage einer Differenz zwischen den Kohlenwasserstoffenergieabsorptions- und -desorptionsraten bestimmt; ein Freisetzratenschätzmodul, das eine Kohlenwasserstoffenergiefreisetzrate für die Komponente auf Grundlage der auf der Differenz zwischen den Kohlenwasserstoffenergieabsorptions- und desorptionsraten basierenden Änderungsrate gespeicherter Energie schätzt; ein Oxidationsgewinnschätzmodul, das eine Oxidationsenergiegewinnrate der Komponente auf Grundlage der Kohlenwasserstoffenergiefreisetzrate schätzt; ein Verlustbestimmungsmodul, das eine Energieverlustrate der Komponente auf Grundlage der Oxidationsenergiegewinnrate, einer Leitungsenergieverlustrate, die der Komponente zugeordnet ist, und einer Konvektionsenergieverlustrate, die der Komponente zugeordnet ist, bestimmt; ein Gesamtverlustbestimmungsmodul, das eine Gesamtenergieverlustrate stromaufwärts einer Stelle in dem Abgassystem auf Grundlage der Energieverlustrate der Komponente bestimmt; und ein Kraftstoffsteuermodul, das eine Rate der Kraftstoffinjektion in das Abgassystem stromaufwärts des Oxidationskatalysators auf Grundlage der Gesamtenergieverlustrate und einer Zieltemperatur für die Stelle steuert.
Die Prüfungsstelle des DPMA hatte die Anmeldung wegen Unklarheit zurückgewiesen und die Patentfähigkeit nicht geprüft. Der 11. Senat stellte klar, dass es im deutschen Recht eine der Vorschrift des Art. 84 Abs. 2 EPÜ entsprechende Regelung nicht gibt (vgl. auch BPatGE 54, 238 ff. – Gargerät). Ferner stellte der Senat heraus, dass die Annahme einer solchen Voraussetzung, die nicht nur formeller Natur sei sondern sich als materielle Patenterteilungsvoraussetzung darstelle, im deutschen Recht keine Grundlage habe und es sowohl dem DPMA als auch dem BPatG versagt sei, Zurückweisungsgründe über die gesetzlich normierten hinaus anzuwenden. Da es sich bei dem gemäß § 6 PatG zugunsten eines Erfinders oder seines Rechtsnachfolgers festgelegten Rechts auf das Patent um eine dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG unterfallende Rechtsposition handle (vgl. BVerfGE 36, 281; BGH GRUR 2018, 605 – Feldmausbekämpfung), könnten derartige Einschränkungen unter Beachtung des Vorbehalts des Gesetzes nur vom Gesetzgeber getroffen werden (etwas großzügiger der 20. Senat, BlPMZ 2016, 376 – Elektronisches Gerät). Aus diesem Grund ordnete der 11. Senat auch die Rückzahlung der Beschwerdegebühr an.
2. Gebührenfragen
Im Gebührenverzeichnis behandelt wird nur die übereinstimmende Erledigterklärung, denn bei einer einseitigen Erledigterklärung handelt es sich im Ergebnis ja um ein Feststellungsbegehren. Anders als beim Vergleich kommt nach Nr. 402 100 des als Anlage zu § 2 Abs. 1 PatKostG veröffentlichten Gebührenverzeichnisses jedoch eine Ermäßigung der Gerichtsgebühr bei einer übereinstimmenden Erledigterklärung nicht in Betracht, was in der Praxis häufig eine solche verhindert. Der 3. Senat (Beschl. v. 22.10.2018, Az. 3 Ni 24/17) hat im Wege der teleologischen Reduktion entschieden, dass jedenfalls dann, wenn die Parteien sich bereits im Vergleichswege über die Kostentragung geeinigt haben, kein Anlass besteht, diesen Fall anders zu behandeln als wenn die Parteien sich insgesamt im Vergleichswege geeinigt hätten, was gemäß Nr. 402 110 c) des Gebührenverzeichnisses eine Ermäßigung auf die 1,5-fache Gebühr bedeuten würde. Die Begründung des 3. Senats geht dahin, dass der Grund des erhöhten Gebührenanfalls gemäß Nr. 402 100 in der Notwendigkeit einer gerichtlichen Entscheidung über die voraussichtlichen Erfolgsaussichten des Klagebegehrens bestehe, um darauf aufbauend leine Kostenentscheidung zu treffen, mithin ein weiteres Tätigwerden des Gerichts erforderlich sei. Dieses Erfordernis entfalle aber dann weitgehend, wenn die Parteien sich abschließend über die Kosten geeinigt hätten, weshalb in diesen Fällen auch eine Notwendigkeit einer erhöhten Gebührenzahlung nicht mehr anzuerkennen sei. Zwar sei in diesem Fall noch eine gerichtliche Entscheidung ergangen, diese sei in der Begründung aber nur pauschal der zuvor von den Parteien mitgeteilten Einigung der Kostentragungspflicht gefolgt. Daher hat der 3. Senat – der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte folgend (vgl. OLG Celle v. 29.09.1995, 8 W 251/95; OLG München, MDR 1996, 209; zum Meinungsstand OLG Frankfurt/Main, NJW-RR 2011, 717) – die übereinstimmende Erklärung der Erledigung der Hauptsache mit anschließendem Vergleich über die Kostenfolge gerichtskostenrechtlich dem Abschluss eines Vergleichs einschließlich Kostenvereinbarung gleichgestellt.
3. Verteidigung mit beschränkter Fassung nur in deutscher Sprache
Obwohl grundsätzlich für europäische Patente mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für den Inhalt der Patentansprüche die Verfahrenssprache gemäß Art. 70 EPÜ maßgeblich ist, hatte der 6. Senat in einer Entscheidung vom 3. Februar 2020 (Az. 6 Ni 45/16 (EP), hinzuverb. 6 Ni 13/17 (EP) und 6 Ni 28/18 (EP)) es mit einem in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlichten Streitpatent zu tun. Die Besonderheit lag nun darin, dass das Streitpatent teilweise bereits in einem früheren Nichtigkeitsverfahren (Urt. v. 9. Mai 2012, Az. 5 Ni 152/09 (EU)) in deutscher Sprache (in zulässiger Weise, vgl. nur BGH, Urt. v. 12. Mai 1992, X ZR 109/90 – Linsenschleifmaschine, seither st. Rspr.) verteidigt worden war, wodurch – so der 6. Senat – an die Stelle der ursprünglichen (englischen) Fassung die neu gefassten Patentansprüche 1, 13 und 16 bis 18 in deutscher Sprache getreten seien (Urt. v. 03.02.2020, Az. 6 Ni 45/16 (EP), hinzuverb. 6 Ni 13/17 (EP) und 6 Ni 28/18 (EP), bei juris Rdnr. 158 ff.). Daraus ergebe sich, dass ein in englischer Sprache auf den Patentanspruch 1 bezogener Hilfsantrag als unzulässig zu beurteilen sei.
4. Charakter einer eingereichten Übersetzung
In einer Entscheidung des 4. Senats (Urt. v. 11. August 2020, Az. 4 Ni 66/17) ging es um die Frage, ob eine Übersetzung einer Entgegenhaltung durch ein privates Übersetzungsinstitut ausreichen sollte, obwohl der Senat in seinem qualifizierten Hinweis gemäß § 83 Abs. 1 PatG die Vorlage einer Übersetzung im Sinne des § 142 Abs. 3 ZPO durch einen öffentlich beglaubigten Übersetzer verlangt hatte. Der 4. Senat entschied diese Frage dahin, dass es sich bei dieser Aufforderung, eine beglaubigte Übersetzung beizubringen, nicht um eine bindende Anordnung dergestalt handle, mit der der Senat sein ihm nach § 142 Abs. 3 ZPO zustehendes Ermessen dergestalt ausgeübt habe, dass er nicht mehr davon abrücken könne (4. Senat, aaO, bei juris Rdnr. 174 ff. mwN.). Vorliegend, so der 4. Senat, verhalte es sich auch anders als in einer Entscheidung des 5. Senats (Urt. v. 17. Juli 2019, Az. 5 Ni 53/16 (EP), bei juris Rdnr. 70), nachdem bei dieser weder die Frage einer Beglaubigung noch die Quelle dieser Übersetzung bekannt war.
5. Akteneinsicht
Obwohl man meinen könnte, zum Akteneinsichtsrecht iSv § 99 Abs. 1 iVm § 31 Abs. 1 PatG sei bereits zu jedem denkbaren Gesichtspunkt (mindestens) eine Entscheidung ergangen, wird man immer wieder überrascht. Der 5. Senat hatte sich kürzlich mit einer Konstellation zu befassen, die – jedenfalls den beteiligten Richtern – neu war: In das Nichtigkeitsverfahren waren in der Nichtigkeitsklage einzelne Zahlen und schutzwürdige Informationen der Patentinhaberin eingeführt worden. Nachdem nun ein dritter Beteiligter Akteneinsicht begehrte und die Parteien entsprechend informiert worden waren, widersprach die Nichtigkeitsbeklagte zunächst der Gewährung der Akteneinsicht mit der pauschalen Begründung, die Klageschrift enthalte diverse Betriebsinterna, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien. Zudem – und das war neu – brachte sie vor, die Klageschrift enthalte personenbezogene Daten und unterfalle daher der DSGVO. Der 5. Senat (Beschluss vom 1. Februar 2021, Az. 5 ZA(pat) 29/20 zu 5 Ni 66/16 (EP)) entschied, die DSGVO sei als Verbraucherschutznorm hier nicht anzuwenden. Bei den personenbezogenen Daten handle es sich um zum Zweck der Beweisführung benannte Zeugen, so dass insoweit eine Anwendung dieser Vorschrift ausscheide.
6. Klagebeitritt
Ebenfalls aus dem 5. Senat stammt eine Entscheidung zu einer scheinbar immer beliebter werdenden Vorgehensweise, nämlich dem Klagebeitritt. Im konkreten Fall verhielt es sich so, dass am 28. Oktober 2020 der Beitritt erklärt wurde und die ursprüngliche Klägerin wenige Tage später, nämlich am 30. Oktober, nachdem sie am 29. Oktober dem Beitritt zugestimmt hatte, jedoch noch vor Zustellung der Beitrittserklärung an die Beklagte, ihre Klage zurücknahm. Die Beklagte vertrat daher die Ansicht, ein wirksamer Beitritt sei nicht erfolgt und die Klage durch Rücknahme erledigt. Der Senat (das Aktenzeichen soll hier nicht angegeben werden, da es sich um ein noch nicht abgeschlossenes Verfahren handelt und eine Entscheidung bisher nicht vorliegt) teilte diese Auffassung nicht, sondern vertrat in Anlehnung an die der Rechtsprechung des BGH zur nicht erforderlichen Einwilligung des Beklagten im Fall einer Klagerücknahme gemäß § 269 ZPO zugrunde liegenden Erwägungen im Patentnichtigkeitsverfahren (BGH, GRUR 1993, 895 – Hartschaumplatten) die Auffassung, dass hier der Beitritt gleichwohl wirksam erfolgt sei. Anders als im üblichen zivilprozessualen Verfahren müsse ein Patentinhaber stets mit einer Nichtigkeitsklage rechnen, so dass es insoweit keiner vorherigen Zustellung des Beitritts bedarf. Da vorliegend der Beitritt wenige Tage vor Rücknahme der ersten Klage erfolgt sei, liege ein wirksamer Beitritt vor, der auch als sachdienlich im Sinne des § 263 ZPO anzusehen ist, weil er ein weiteres Verfahren vermeidet. Anderer Ansicht scheint der 7. Senat des BPatG zu sein (auch hier handelt es sich um ein nicht abgeschlossenes Verfahren, so dass ich auch hier auf die Angabe eines Aktenzeichens verzichten möchte), der hier wegen entfallender Rechtshängigkeit wohl keinen wirksamen Klagebeitritt anzunehmen scheint.
Nach Ansicht des 5. Senats überwiegt hier aber der Popularklagecharakter der Nichtigkeitsklage, die schließlich auch im öffentlichen Interesse betrieben wird (vgl. BGH GRUR 1993, 895 – Hartschaumplatten), zudem – wie bereits erwähnt – ein Patentinhaber sich jederzeit einer Nichtigkeitsklage ausgesetzt sehen muss.