Mündlich verhandeln beim EUIPO?!
Ein Beitrag von RA Jan Altmann, LL.M.
Mündliche Verhandlungen haben beim EUIPO bislang noch immer Seltenheitswert. Welche Gründe das hat und in welchen Situationen eine mündliche Verhandlung vor dem Amt sinnvoll sein kann, erläutert Jan Altmann.
In der jüngeren Vergangenheit wurden dreimal mündliche Verhandlungen bei den Beschwerdekammern des Europäischen Amtes für geistiges Eigentum (EUIPO) in Alicante durchgeführt. Die Verhandlungen betrafen die Verfahren R 691/2014-1 – Wasabi u.a., R 1849/2017-2 – MONOPOLY und R 1787/2020-5 – MARBELLA. In dem zuletzt genannten Fall wurde die mündliche Verhandlung online durchgeführt. Es ist daher insgesamt eine vorsichtige Tendenz des Amtes zu erkennen, sich gegenüber weiteren Erkenntnisquellen zu öffnen, als dies bisher der Fall war. Diese Tendenz umfasst nicht nur förmliche mündliche Verhandlungen, sondern auch den mündlichen Austausch mit Parteien im Rahmen alternativer Streitbeilegungsmodelle. Das Ziel dieses Beitrags ist, zu untersuchen, wie die rechtlichen Grundlagen für mündliche Verhandlungen ausgestaltet sind, warum mündliche Verhandlungen beim Amt überhaupt vorkommen und warum nicht noch häufiger von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird. Es wird hierbei zunächst rechtsvergleichend die grundsätzliche Bedeutung des Mündlichkeitsgrundsatzes untersucht. Anschließend werden die oben angesprochenen Verfahren näher daraufhin untersucht, ob und inwiefern eine mündliche Verhandlung für die Rechtsfindung im Einzelfall hilfreich war.
Situation in Deutschland
In der deutschen Rechtspraxis sind mündliche Verhandlungen in vielen Fällen seit jeher obligatorisch (§ 128 Abs. 1 ZPO, §§ 33 Abs. 1 und 261 StPO, 101 Abs. 1 VwGO, § 67 Abs. 1 VwVfG).
Teilweise wurden jedoch die deutschen Prozessordnungen beispielsweise im Strafrecht oder im Zivilrecht im Laufe der Zeit etwas flexibler, indem bestimmte Verfahrensabschnitte verschriftlicht wurden (so z.B. das im Zivilrecht häufig angewendete schriftliche Vorverfahren nach § 276 ZPO, Entscheidungen über Kosten und Nebenforderungen nach § 128 Abs. 3 ZPO oder auch Beschlüsse nach § 128 Abs. 4 ZPO, für das Strafrecht das Strafbefehlsverfahren nach § 407 Abs. 1 StPO, für das Verwaltungsrecht einstweilige Anordnungen nach § 123 VwGO). Das Verwaltungsverfahren in Deutschland zum Erlass eines Verwaltungsakts ist grundsätzlich an keine bestimmte Form gebunden (§ 10 VwVfG). Das bedeutet, dass Beamte mehr oder weniger frei entscheiden können, ob sie schriftlich, mündlich oder gar nicht mit den Beteiligten kommunizieren möchten. Lediglich bei belastenden Verwaltungsakten ist eine Anhörung zwingend vorgeschrieben, die aber nicht zwingend (fern)mündlich erfolgen muss (§ 28 VwVfG).
Diese Ausnahmen von dem Mündlichkeitsgrundsatz erklären sich durch Gründe der Prozessökonomie in Fällen mit geringerer Bedeutung (Strafbefehlsverfahren), zur Minimierung des Umfangs der Hauptverhandlung (schriftliches Vorverfahren), zur Vereinfachung von Massenverfahren (Verwaltungsverfahren) bzw. aufgrund besonderer Eilbedürftigkeit (einstweilige Anordnung).
Hiervon abgesehen gilt jedoch nach wie vor das Dogma, dass eine gerechte und dem Einzelfall ausreichend Rechnung tragende Rechtsanwendung praktisch immer eine mündliche Verhandlung erfordert. Dahinter steht der Gedanke, dass nur so eine faire Beteiligung der Streitparteien und der Öffentlichkeit sowie eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts möglich ist (vgl. auch Art 6 Abs. 1 EMRK). Nicht zuletzt spielt auch der persönliche Eindruck des jeweiligen Entscheidungsträgers von Parteien und Zeugen eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Es überrascht daher nicht, dass auch das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) von dem Instrument mündlicher Anhörungen Gebrauch machen kann (für Markenverfahren s. § 60 Abs. 1 MarkenG).
In Beschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht sind mündliche Verhandlungen nur obligatorisch, wenn einer der Beteiligten dies beantragt oder Beweis erhoben werden muss (für Markenverfahren s. § 69 Nr. 1 und 2 MarkenG). In den übrigen Fällen wird nur eine mündliche Verhandlung durchgeführt, wenn das Bundespatentgericht sie für sachdienlich erachtet (für Markenverfahren s. § 69 Nr. 3 MarkenG).
Bei Rechtsbeschwerden zum Bundesgerichtshof (BGH), die gegen Entscheidungen des Bundespatentgerichts erhoben werden können, kann der BGH in Markensachen nach seinem eigenen Ermessen entscheiden, ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird oder nicht (§ 89 Abs. 1 MarkenG).
Situation in EU-Verfahren
Für die europäischen Gerichte (EuG und EuGH) sind mündliche Verhandlungen ebenfalls vorgesehen (Art. 55 ff. EuG-VerfO, Art.76 EuGH-VerfO).
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird hier ebenfalls teilweise zur Disposition der Parteien gestellt. Stellt keine der Parteien einen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung, so kann das Gericht von einer mündlichen Verhandlung absehen (s. Art. 76 Abs. 1 EuGH-VerfO). Unabhängig hiervon kann der entscheidende Spruchkörper des EUGH auch dann von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn er sich auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts für ausreichend unterrichtet hält, um eine Entscheidung zu erlassen (Art. 76 Abs. 2 EuGH-VerfO).
Auch beim Europäischen Amt für geistiges Eigentum (EUIPO) gibt es die Möglichkeit, mündliche Verhandlungen durchzuführen. Art. 96 der Unionsmarkenverordnung (UMV) sieht vor, dass das Amt, und zwar sowohl die Prüfer, die Widerspruchsabteilung, die Registerabteilung, die Nichtigkeitsabteilung als auch die Beschwerdekammern, bei Bedarf oder auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten mündliche Verhandlungen anordnen können. Genauer geregelt ist die mündliche Verhandlung vor dem Amt in Art. 49 ff. der Delegierten Verordnung (EU) 2018/625 (DelVO). Die mündliche Verhandlung kann auch online oder in Abwesenheit eines Beteiligten durchgeführt werden (Art. 49 Abs. 2 und 3 DelVO). Eine Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung besteht, ähnlich wie auch bei den europäischen Gerichten, nicht.
Ähnlich wie im deutschen Verwaltungsverfahren können Marken- oder Designanmelder außerdem vor Erlass einer Entscheidung eines Prüfers, der Wiederspruchs- oder der Löschungsabteilung Stellung nehmen. Dies bestimmen Art. 42 Abs. 2, Art. 47 Abs. 1 sowie Art. 64 Abs.1 UMV. Insbesondere bei absoluten Schutzhindernissen können in diesem Rahmen telefonische Rückfragen und somit quasi eine kleine und formlose „mündliche Anhörung“ möglich sein. Diese formlose Beteiligung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Es gibt daher keinen Anspruch auf telefonischen Kontakt mit einem Prüfer.
Eine Gelegenheit für mündliche Stellungnahmen gibt es bei den Beschwerdekammern des EUIPO außerdem im Rahmen eines kostenlosen Dienstes zur alternativen Streitbeilegung. In mehrseitigen Verfahren können Mediationen, Schlichtungen und die Anhörung unabhängiger Experten durchgeführt werden. Dabei können die Beteiligten häufig in einen mündlichen Austausch miteinander und mit der Kammer treten, auch wenn es sich dabei nicht um eine förmliche mündliche Verhandlung handelt.
Zwischenergebnis
Dieser erste kleine rechtsvergleichende Überblick zeigt, dass der Mündlichkeitsgrundsatz in der europäischen, wie auch in der deutschen Rechtstradition in allen Verfahren als wichtig angesehen wird und umfangreiche Möglichkeiten der Einbindung mündlicher Parteivorträge in die jeweilige Entscheidungsfindung bestehen.
An der Existenz der oben angesprochenen Regeln wird aber auch deutlich, dass der deutsche wie auch der europäische Instanzenzug in marken- und designrechtlichen Eintragungs- und Löschungsverfahren grundsätzlich etwas weniger streng an den Mündlichkeitsgrundsatz gebunden ist als das in der sonstigen Rechtstradition, insbesondere auch in Verletzungsverfahren, der Fall ist.
Eigene Einschätzung zum Zwischenergebnis
Die Gründe hierfür liegen sicherlich hauptsächlich in der Prozessökonomie. Zum einen wird durch einen Verzicht auf eine mündliche Verhandlung der Zeitaufwand bei den Ämtern und Gerichten verringert, den mündliche Verhandlungen notwendigerweise mit sich bringen. Zum anderen wird vermieden, dass Parteien die zum Teil weiten Strecken zwischen ihrem jeweiligen Aufenthaltsort und dem zentral angeordneten Amts- bzw. Gerichtsgebäude in Alicante bzw. Luxemburg (für die EU) und in München (für Deutschland) zurücklegen müssen.
Im Bereich von Mediationsverfahren vor dem EUIPO wird versucht, diesem Problem dadurch zu begegnen, dass die Parteien nicht nur beim Sitz des Amtes in Alicante, sondern auch bei einem weiteren Büro des Amtes in Brüssel verhandeln können. Auch wurden, insbesondere in Zeiten der Corona-Pandemie, sowohl bei den europäischen Gerichten als auch beim EUIPO bereits mündliche Verhandlungen und Mediationen online durchgeführt. Die Beschwerdekammern machten dabei von der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in Art. 49 Abs. 2 DelVO gebrauch. Hierin liegt eine wirksame Möglichkeit, dem Problem der räumlichen Distanz zu begegnen, wobei die persönliche Anwesenheit der Beteiligten in einem gemeinsamen Raum aufgrund der einfacheren und direkteren Kommunikation weiterhin vorzugswürdig erscheint.
Zum anderen spielen auch komplexe Lebenssachverhalte in Verletzungsverfahren tendenziell eine größere Rolle als in Amtsverfahren. Eine Markenverletzung ist ein Lebenssachverhalt, der sich nicht anhand eines Verzeichnisses wie dem Markenregister darstellen lässt. Es kommt hier häufig stärker als in Amtsverfahren auf Beweismittel, Beobachtungen von Zeugen, Parteiaussagen zum Sachverhalt etc. an. Zum Zeitpunkt der Anmeldung einer Marke bei dem Amt ist die Marke demgegenüber häufig noch gar nicht tatsächlich in Erscheinung getreten. Allerdings muss diese Feststellung sogleich wieder relativiert werden. Auch in amtlichen Verfahren kommt es vor allem im Rahmen von Anträgen zu Benutzungsnachweisen und in Löschungsverfahren häufig auf komplexe Lebenssachverhalte an. Es sollte daher grundsätzlich auch in markenrechtlichen Amtsverfahren der Mündlichkeitsgrundsatz als tragendes Prinzip so gut wie möglich umgesetzt werden.
Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Rolle der Beschwerdekammern des EUIPO. Lässt man die oben dargestellten Optionen für mündliche Verhandlungen nochmals Revue passieren, fällt nämlich eines auf: Im deutschen Verfahren haben die Beteiligten in jedem Verfahrensstadium (mit Ausnahme der Rechtsbeschwerde beim BGH) die Möglichkeit, eine mündliche Anhörung herbeizuführen. Sowohl beim DPMA als auch beim Bundespatentgericht kann mit dem Prüfer bzw. Richter gesprochen werden. Ersteres mittels eines einfachen Telefonanrufs, letzteres kann durch einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung sogar mit rechtlichen Mitteln erzwungen werden. Ein Anruf bei einem Prüfer ist beim EUIPO zwar auch noch möglich. Bereits in der nächsten Instanz vor den Beschwerdekammern aber haben die Beteiligten keinen unmittelbaren Einfluss mehr darauf, ob sie mündlich angehört werden oder nicht. Mündliche Verhandlungen werden von den Parteien sogar gelegentlich (hilfsweise) beantragt. Diesen Anträgen kommen die Beschwerdekammern aber in aller Regel nicht nach, weil sie sich für ausreichend informiert halten, eine Entscheidung zu treffen. Vor allem der unten näher besprochene Fall „MONOPOLY“ hat jedoch gezeigt, wie sinnvoll eine mündliche Verhandlung sein kann.
Erst in der nächsten Instanz vor dem EuG muss ein Antrag auf eine mündliche Verhandlung wieder beachtet werden. Vielen, gerade kleineren Parteien fehlt jedoch die Zeit und das Geld, diese dritte Instanz auch noch zu beanspruchen, zumal die statistische Erfolgswahrscheinlichkeit hier schon sehr gering ist. In der weit überwiegenden Zahl der Fälle schließen die Beschwerdekammern des EUIPO daher faktisch den Instanzenzug rechtskräftig ab, in der Regel ohne dass eine förmliche mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
Die Beschwerdekammern haben daher eine besondere Verantwortung bei der Entscheidung, ob im Einzelfall eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird. Gerade in Fällen, in denen dies ausdrücklich von den Parteien gewünscht wird, sollte damit nicht zu leichtfertig umgegangen werden. Dies gilt besonders in Verfahren, welche absolute Schutzhindernisse zum Gegenstand haben, weil hier zudem keine Alternative in Form von alternativen Streitbeilegungsmodellen zur Verfügung steht.
Fallstudien
Der Leser mag sich nun fragen, ob all die oben dargestellten theoretischen Möglichkeiten für mündliche Verhandlungen auch tatsächlich in der Praxis Anwendung finden und welche Fälle für mündliche Verhandlungen geeignet sind. Zur Beantwortung dieser Frage wird im Folgenden kurz auf aktuelle Fälle eingegangen, in denen mündliche Verhandlungen beim EUIPO in Alicante stattgefunden haben. Die Fallstudie ist dabei weniger an den rechtlichen Details der Fälle orientiert als mehr an den Gründen, weshalb hier mündlich verhandelt wurde. Es soll dabei aufgezeigt werden, ob und inwiefern die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Einzelfall besonders hilfreich bei der Entscheidungsfindung war.
Fall: Wasabi u.a. (R 691/2014-1)
Der erste Fall, der hier kurz besprochen werden soll, betrifft die Anmeldung der Marke „Wasabi“ für Rosen, Rosenpflanzen und Vermehrungsgut für Rosen. Die Anmeldung wurde von dem Prüfer wegen absoluter Schutzhindernisse beanstandet. Zu diesem Zeitpunkt war das Warenverzeichnis noch etwas weiter gefasst und umfasste auch andere Pflanzen als Rosen. Die Beanstandung wurde auf unterschiedliche Gründe gestützt, insbesondere sei die Marke beschreibend, ihr fehle die notwendige Unterscheidungskraft und sie sei irreführend. Die erste Beschwerdekammer hob die Beanstandung auf, nachdem die Anmelderin das Warenverzeichnis auf Rosen, Rosenpflanzen und Vermehrungsgut für Rosen eingeschränkt hatte.
Es wurde im Rahmen des Beschwerdeverfahrens am 15 April 2015 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Zu der Verhandlung wurden die Beteiligten sowie Sachverständige vom Gemeinschaftlichen Sortenamt, CPVO, der Vereinigung Plantum sowie der European Seed Association, ESA, gehört. Die Sachverständigen konnten Angaben zur botanischen Einordnung sowie des Aussehens der verschiedenen Pflanzen bzw. Sortenbezeichnungen machen. Sie gaben auch über bestimmte Verkehrsgepflogenheiten Auskunft, insbesondere darüber, welche Bedeutung Verbraucher und Fachverkehrskreise der Sortenbezeichnung beim Erwerb von Pflanzen beimessen. Im Ergebnis führte die mündliche Verhandlung dazu, dass der Anmelder nach ausgiebiger Diskussion das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis so eingeschränkt hat, dass die Marke eingetragen werden konnte. Die entsprechenden Verhandlungen konnten mündlich leichter geführt werden als schriftlich, weil hier direkt diskutiert und unmittelbar auf die Argumente der Beteiligten eingegangen werden konnte.
Fall: MONOPOLY (R 1849/2017-2)
Ganz anders gelagert war der Fall im Zusammenhang mit der Markenanmeldung „MONOPOLY“. Die Anmelderin, die Hasbro Inc., meldete im Jahr 2010 die Marke „MONOPOLY“ für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 16, 28 und 41 an. Die Marke wurde daraufhin eingetragen. Im Jahr 2015 beantragte eine dritte Partei die Löschung der Marke aufgrund von Bösgläubigkeit (Art. 59 Abs. 1 lit. b UMV). Es handle sich um eine unzulässige Wiederholungsanmeldung. Tatsächlich hatte die Hasbro Inc. bereits in den Jahren 1996 und 2008 Anmeldungen für die identische Marke mit jedenfalls teilweise sehr ähnlichen Waren- und Dienstleistungsverzeichnissen eingereicht und entsprechende Markeneintragungen erhalten.
Auch hier fand innerhalb des Beschwerdeverfahrens, dieses Mal am 19. November 2018, eine mündliche Verhandlung statt. In diesem Fall wurden lediglich die an dem Verfahren beteiligten Parteien gehört. Es ging hierbei vor allem um die Frage, welche Gründe die Anmelderin zu der erneuten Anmeldung der Marke bewogen hatten. Die zweite Beschwerdekammer konnte sich danach ein besseres Bild von der Anmeldestrategie von Hasbro Inc. machen und so besser beurteilen, ob die subjektiv geprägten Voraussetzungen für das Tatbestandsmerkmal der Bösgläubigkeit gegeben sind. Durch gezieltes Nachfragen konnte die Kammer in der mündlichen Verhandlung ermitteln, dass die Anmelderin die Marke gerade zu dem Zweck angemeldet hat, im Widerspruchsver-fahren die Benutzung der älteren Marke nicht nachweisen zu müssen.
Fall: MARBELLA (R 1787/2020-5)
Ganz klassische markenrechtliche Fragen stellten sich in dem Fall betreffend die Marke „MARBELLA“. Die Marke wurde von einer in Malaga, Spanien ansässigen Winzerei für alkoholische und nicht-alkoholische Getränke der Klassen 32 und 33 angemeldet. Die Anmeldung wurde von dem Prüfer als beschreibend und nicht unterscheidungskräftig zurückgewiesen. Als Begründung führte der Prüfer an, dass es sich bei der Bezeichnung um eine Beschreibung der geografischen Örtlichkeit Marbella, einer Stadt in der Provinz Malaga im Süden Spaniens handle. Die Marke beschreibe daher die Herkunft der mit ihr gekennzeichneten Waren. Sie sei daher auch nicht unterscheidungskräftig.
Die Anmelderin legte gegen die Zurückweisungsentscheidung Beschwerde ein. Der Berichterstatter der fünften Beschwerdekammer unterrichtete die Partei über seine Einschätzung, dass die Zurückweisungsentscheidung juristisch korrekt sei. Er belegte dies mit weiteren Beweismitteln zu der Stadt Marbella und gab der Anmelderin Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Die Anmelderin schränkte daraufhin das Warenverzeichnis für die Anmeldung ein und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Diesem Antrag kam die Beschwerdekammer nach.
Am 14. Juni 2021 fand die mündliche Verhandlung mittels einer Live-Übertragung in den Sitzungssaal des EUIPO statt. Im Rahmen der mehrere Stunden andauernden Verhandlung wurde detailliert über die Anmelderin, ihre Unternehmensgeschichte, ihr Geschäftsmodell und ihre unternehmerische Strategie, ihre Markenstrategie und die konkrete Markenanmeldung im aktuellen Fall gesprochen. Die Kammer stellte Fragen zum Hintergrund, den Gepflogenheiten auf dem konkreten Markt und zu den von der Anmelderin vorgetragenen Argumenten. Es war hier möglich, dass sowohl die Anmelderin als auch die Beschwerdekammer unmittelbar auf Argumente der anderen Seite eingehen und reagieren. Durch dieses Zwiegespräch konnten in verhältnismäßig kurzer Zeit viele Informationen ausgetauscht werden. Auch konnte die Beschwerdekammer auf aktuelle Entwicklungen bezüglich der geschützten geografischen Herkunftsbezeichnung „Mars de Malaga“ eingehen und die Anmelderin unmittelbar hierzu anhören.
Fazit und eigene Meinung
Welche Erkenntnisse lassen sich nun aus den oben dargestellten Verfahren ableiten? Auf den ersten Blick mag überraschen, dass in einer wichtigen Kategorie von Entscheidungen, nämlich bei Widerspruchsverfahren, bisher gar keine mündlichen Verhandlungen vor dem EUIPO stattgefunden haben. Dies lässt sich aber sicherlich dadurch erklären, dass in zweiseitigen Verfahren, anders als in einseitigen Verfahren betreffend absolute Schutzhindernisse, Möglichkeiten der alternativen Streitbeillegung bestehen. Anstatt zu mündlichen Verhandlungen wird den Parteien hier gegebenenfalls dazu geraten, eine Schlichtung oder eine Mediation zu versuchen. In diesem Rahmen sind dann ebenfalls umfangreiche mündliche Stellungnahmen der Parteien möglich. Als erste Erkenntnis der vorliegenden Untersuchung lässt sich daher festhalten, dass mündliche Verhandlungen gerade in einseitigen Verfahren eine in der Praxis besonders bedeutsame Rolle einnehmen, weil hier, anders als in zweiseitigen Verfahren, keine alternative Streitbeilegung möglich ist.
Als zweite Erkenntnis lässt sich festhalten, dass mündliche Verhandlungen in der Regel dann durchgeführt werden, wenn der Verfahrensstoff besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher Hinsicht mit sich bringt. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Behandlung der beanspruchten Waren und Dienstleistungen besondere Sachkenntnis voraussetzt. Es kann dann ratsam sein, einen oder mehrere Sachverständige hinzuzuziehen und diese die tatsächlichen Gegebenheiten näher erläutern zu lassen. Dies war im oben dargestellten Fall „Wasabi“ der Fall. Auch wenn es, wie im Fall „MONOPOLY“ auf subjektive Tatbestandmerkmale ankommt, ist die umfassende Aufklärung des Sachverhalts häufig besonders schwierig. Gleiches gilt, wenn der Sachverhalt sich aufgrund aktueller Ereignisse vor der Entscheidung voraussichtlich noch ändern kann. Hier hat eine mündliche Verhandlung den Vorteil, dass der Austausch von Argumenten unmittelbar mündlich und damit schneller erfolgen kann, als wenn jede Partei für jeden weiteren Schriftsatz beispielsweise zwei Monate Zeit bekommt. Ein Beispiel für diese Situation zeigt der Fall „MARBELLA“. Nicht zuletzt kann es auch die rechtliche Schwierigkeit eines Falles sinnvoll erscheinen lassen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Bei rechtlich komplexen Fragen kann es hilfreich sein, Argumente und Gegenargumente mündlich zusammenzufassen und sie in einem Gespräch auszutauschen. Auch kann in einer mündlichen Verhandlung der Verfahrensstoff auf wenige zentrale Fragen konzentriert und durch gezieltes Nachfragen aufgeklärt werden. Ein Beispiel hierfür bietet der Fall „MONOPOLY“. Neben einer Beschleunigung des Verfahrens hilft der mündliche Vortrag auch dabei, komplexe Argumentationslinien besser nachvollziehbar zu machen.
Hieraus kann als dritte Erkenntnis abgeleitet werden, dass durchaus nicht jeder Fall zwingend eine mündliche Verhandlung erfordert. In vielen Fällen bestehen die soeben dargestellten besonderen Schwierigkeiten nicht. Sofern der Sachverhalt anhand der Akten leicht verständlich und nachvollziehbar ist und auch rechtlich keine besonderen Schwierigkeiten ersichtlich sind, birgt eine mündliche Verhandlung keinen großen Mehrwert gegenüber dem ohnehin vorliegenden Akteninhalt. Mündliche Verhandlungen ersetzen in der Regel nicht den Austausch von Schriftsätzen, sondern ergänzen diesen. Sie bedeuten daher in rechtlich und tatsächlich einfach gelagerten Fällen einen zusätzlichen Zeitaufwand, dem nicht immer ein entsprechender Gegenwert gegenübersteht.
Die vierte Erkenntnis aus dieser Analyse ist, dass tatsächlich mehr Möglichkeiten bestehen, mündliche Verhandlungen herbeizuführen, als vielen Anmeldern und sonstigen Verfahrensbeteiligten bewusst ist. Der Fall „MARBELLA“ zeigt, dass ein ausdrücklicher Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung durchaus erfolgreich sein kann. Auch sollten die Verfahrensbeteiligten nicht davor zurückschrecken, auch alternative Konfliktlösungen zu versuchen. Egal ob innerhalb oder außerhalb des EUIPO ist ein Mediationsverfahren häufig eine gute Möglichkeit, seine Argumente mündlich vorzutragen und gegebenenfalls auch mit der Gegenseite in einen fruchtbaren Austausch zu treten. Nicht zuletzt ist auch ein Anruf bei einem Prüfer die mitunter einzige Chance für einen Anmelder, seinen Standpunkt unmittelbar mündlich zu formulieren und so mittels eines unmittelbaren Gesprächs auf die Entscheidungsfindung Einfluss zu nehmen. Diese schnelle und kostenlose Möglichkeit der Einflussnahme wird von vielen Anmeldern nicht wahrgenommen.
Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass mündliche Verhandlungen auch eine Kehrseite haben. Das Amt kann von sich aus entscheiden, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, auch wenn kein entsprechender Antrag der Beteiligten Parteien vorliegt. Dies hat in der Vergangenheit keine allzu große Rolle gespielt, da mündliche Verhandlungen vor dem Amt in der Praxis so gut wie nicht vorkamen. Wenn nun aber häufiger mündlich verhandelt wird, müssen die Parteien diese Möglichkeit bei der Planung des ihnen zur Verfügung stehenden Budgets sowie des vorgesehenen Zeitaufwandes berücksichtigen. Eine mündliche Verhandlung kann das Prozesskostenrisiko und insbesondere die Anwaltskosten für die Beteiligten erheblich in die Höhe treiben, da zusätzliche Fahrt- und Übernachtungskosten sowie ein Zeitaufwand von mehreren Tagen entstehen kann. Nicht zuletzt aus diesem Grund kann es für das Amt aus Zeit- und Kostengründen geboten sein, eine in Art. 49 Abs. 2 DelVO (EU 2018/625) vorgesehene Videokonferenz anzuberaumen. Des Weiteren sieht Art. 49 Abs. 3 DelVO vor, dass das Verfahren auch in Abwesenheit eines geladenen Beteiligten fortgeführt werden kann. Diese Regelungen entschärfen das zusätzliche Prozesskostenrisiko etwas.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Instrument der mündlichen Verhandlung in einigen Fällen bei der Entscheidungsfindung hilfreich sein kann. Es sollte dann zur Verwirklichung allgemeiner prozessualer Grundsätze (Mündlichkeitsgrundsatz, Öffentlichkeitsgrundsatz, ggf. auch Beschleunigungsgrundsatz) auch verwendet werden. Es muss aber immer abgewogen werden, ob der Mehraufwand durch die mündliche Verhandlung einen ggf. höheren Zeit- und Kostenaufwand rechtfertigt. Dies wird in der Regel hauptsächlich bei rechtlich und/oder tatsächlich schwierig gelagerten Sachverhalten der Fall sein. In die Abwägung sollten auch Anträge der Beteiligten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung eingestellt werden, insbesondere, wenn in dem Antrag eine nachvollziehbare Begründung angegeben wird, weshalb eine mündliche Verhandlung der Entscheidungsfindung förderlich sein kann. Außerdem stets zu beachten ist die Vielzahl alternativer Möglichkeiten der Verfahrensvereinfachung, namentlich Videokonferenz, alternative Streitbeilegungsmodelle wie Mediation, Schlichtung und Expertenanhörung, sowie ggf. die mündliche Verhandlung in Abwesenheit eines der Beteiligten. Werden all diese Aspekte ernsthaft in eine Abwägung eingestellt, ist insgesamt wohl zu erwarten, dass zukünftig noch häufiger als bisher mündlich vor dem EUIPO verhandelt wird. Diese Entwicklung ist aus Sicht des Autors zu begrüßen, da mündliche Verhandlungen in der Regel dazu führen, dass der Sachverhalt unter Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit bestmöglich aufgeklärt werden kann, sowie rechtliche Argumente bestmöglich ausgetauscht und erörtert werden können. Letztendlich hängt die zukünftige Entwicklung jedoch maßgeblich davon ab, ob und wie stark das Amt und die Verfahrensbeteiligten auf die Durchführung mündlicher Verhandlungen hinwirken.
Jan Altmann, LL.M., hat mehrere Jahre als Rechtsanwalt in München gearbeitet, bevor er im Rahmen eines speziellen Weiterbildungsprogramms für ein Jahr in die Beschwerdekammern des EUIPO in Alicante wechselte. Derzeit ist er bei der Kanzlei Hogan Lovells in Alicante beschäftigt.