Neues und Altes zur Geschichte der Öffentlichen Wiedergabe

Ein Beitrag von Lars Wasnick

Der Beitrag stellt die Entwicklungen zur Öffentlichen Wiedergabe anhand der ergangenen europäischen und nationalen Entscheidungen der letzten Monate dar.

Filmübertragung in einem Passagierflugzeug

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Sowohl der Europäische Gerichtshof (Abschnitt I) als auch die nationalen Gerichte (Abschnitt II) äußerten sich erneut zum Tatbestand der öffentlichen Wiedergabe. In einer Reihe von kürzlich erschienenen Entscheidungen wurde Altbekanntes gefestigt, weitere Umrisse skizziert, durchaus auch konkretisiert, sowie neue Fragen und offene Problemfelder gefunden. Alles in allem also umfangreiche Handlungsstränge und zahlreiche offene Konflikte, die im Serien-Jargon durchaus als genug Stoff für eine weitere Staffel bezeichnet werden würden. So geht die Kontursuche der öffentlichen Wiedergabe nicht nur in eine weitere Runde, sondern durch die noch nicht absehbare Auflösung der Saga bleibt auch die Spannungskurve weiterhin hoch.

I. EuGH zur öffentlichen Wiedergabe in Passagierflugzeugen und Zügen

Mit Urteil vom 20. April konnte sich der EuGH in seiner Blue Air Aviation-Entscheidung zu gleich mehreren Punkten der öffentlichen Wiedergabe äußern. Die von ihm entwickelte Prüfungsreihenfolge der zwei wesentlichen kumulativen Tatbestandsmerkmale der Handlung der Wiedergabe eines Werkes und dessen öffentliche Wiedergabe wurde wiederholt und kann als gefestigte ständige Rechtsprechung eingeordnet werden. Beständigkeit besteht insoweit auch bezüglich der Reihe an weiteren Kriterien, die bei dieser Beurteilung heranzuziehen und im Einzelfall in ihrem jeweiligen Zusammenwirken in einer Gesamtschau anzuwenden sind. So wurde auch die erste Vorlagefrage der rumänischen Gerichte routiniert beantwortet. Kurz und knapp: die Ausstrahlung von Musikwerken in einem Personenbeförderungsmittel (hier Bahn oder Flugzeug) stellt eine öffentliche Wiedergabe dar (Rn. 57).

Eine erste kleine Überraschung findet sich bezüglich des Erwerbszweckes. Konnte man durch das SCF-Urteil bezüglich einer Arztpraxis noch von einem maßgeblichen Tatbestandsmerkmal ausgehen, lies sich zuletzt eine eher gegenteilige Haltung des EuGH zu diesem Kriterium verspüren (Dreier, Der EuGH und die öffentliche Wiedergabe: Eine unendliche Geschichte?, GRUR 2023, 871, 873). Der EuGH wiederholte in seiner jüngsten Entscheidung zwar, dass der Erwerbszweck grundsätzlich für die Beurteilung einer öffentlichen Wiedergabe weiterhin nicht unerheblich sei. Allerdings räumte er erneut (Reha Training, Rn. 49) ein, dass er keine zwingende Voraussetzung für das Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe sei und darüber hinaus im konkreten Fall keine maßgebliche Bedeutung habe (Rn. 50, 56).

 

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Zum Begriff der „Öffentlichkeit“ äußerte sich der EuGH nur kurz und bestätigte ausdrücklich nochmal seine bisherige Rechtsprechung, wonach es zur Bestimmung der Zahl betroffener Personen als Mindestschwelle für eine Öffentlichkeit auch zu berücksichtigen ist, wie viele Personen nacheinander Zugang zu dem wiedergegebenen Werk haben können. Freilich handelt es sich dabei für die an dieser Prüfungsvoraussetzung unproblematischen Fälle der Personenbeförderungsmittel um eine gewohnheitsmäßige Feststellung, allerdings wird dieser Aspekt für die Entscheidung kommender Vorlagefragen (siehe Abschnitt II) fundamental. 

Doch was ist neben der Verfestigung der bereits bekannten Prüfungskriterien und dem Evergreen Erwerbszweck noch alles (nicht) entschieden worden?

1. Keine Handlung der Wiedergabe durch den Einbau einer Lautsprecheranlage inklusive Abspielsoftware

Vorgelegt wurde die Frage, ob das Vorhandensein einer Lautsprecheranlage und gegebenenfalls einer Software zum Abspielen von Hintergrundmusik in Bahnen und Flugzeugen bereits eine öffentliche Wiedergabe darstellt. Dabei liegt die Grauzone zwischen tatbestandlich relevanter Wiedergabehandlung und bloßem Bereitstellen von Wiedergabeeinrichtungen zwischen zwei wesentlichen Eckentscheidungen. Die untere Schwelle wird durch den Erwägungsgrund 27, der im Einklang mit Art. 8 WCT steht und diese Regelung aufgreift (zuletzt YouTube, Rn. 79; Blue Air Aviation, Rn.67), festgelegt: das bloße körperliche Bereitstellen von Einrichtungen als solches stellt keine Wiedergabehandlung dar. Als weiteren Grenzstein kann weiterhin die Hotelzimmer-Entscheidung herangezogen werden, nach der zwar das bloße Bereitstellen noch keine Handlung der Wiedergabe ist, wohl aber bereits dann eine Wiedergabehandlung vorliegt, wenn Einrichtungen (Fernsehapparate) so aufgestellt werden, dass das Signal an die verschiedenen Hotelzimmer der Gäste willentlich verbreitet bzw. weitergeleitet wird. Als zweite heranzuziehende Entscheidung, ist nach dem EuGH das Bereitstellen von Fahrzeugen mit Radioempfangsgeräten durch eine Autovermietung wiederum keine Handlung der Wiedergabe (Stim/Sami, Rn. 39).

a) Das bisherige Kriterium: Die zentrale Rolle des Nutzers

Der wesentliche Unterschied ergibt sich zunächst aus den jeweiligen Sachverhaltskonstellationen. Welche Rundfunksendung letztlich durch das Autoradio empfangen und abgespielt wird, hängt maßgeblich vom Standort des Fahrzeugs während der Mietzeit ab. Hotelbetreiber hingegen wählen den Standort des Empfangsgeräts, sowie die Empfangsmöglichkeiten (zB Senderauswahl) selbst aus. Juristisch grenzt der EuGH diese Sachverhalte anhand der „zentralen Rolle“ des Handelnden ab. Ob es sich um ein bloßes tatbestandsirrelevantes Bereitstellen von Einrichtungen handelt oder um eine relevante Handlung der Wiedergabe bestimmt sich maßgeblich danach, welchen Einfluss und Kontrolle der Handelnde hat. Anders formuliert handelt ein Autovermieter weiterhin als Dienstleister, da er keinen maßgeblichen Einfluss auf die Radionutzung hat. Agiert der Handelnde jedoch als Werkvermittler bzw. je mehr er sich bemüht, den Werkzugang dem Endnutzer zu erleichtern, (desto eher) nimmt er gerade eine zentrale Rolle ein (Schricker/Loewenheim/v. Ungern-Sternberg, 6. Aufl. 2020, § 15 UrhG Rn. 79). Regelmäßig verlangt der EuGH in der Gesamtschau seiner Urteile also einen Zwischenschritt, der über die bloße Bereitstellung hinaus dazu beiträgt, der Öffentlichkeit unter Verletzung von Urheberrechten Zugang zu solchen Inhalten zu verschaffen (YouTube, Rn. 102; Stichting Brein, Rn. 38).

Einen solchen Zwischenschritt lehnte der EuGH für Personenbeförderungsmittel in seiner Entscheidung nun ab. Die bloße Einrichtung einer Lautsprecheranlage, die das Abspielen von Hintergrundmusik in einem Beförderungsmittel ermöglicht, ließe sich nicht mit den Handlungen von Hotel- und Gaststättenbetreibern vergleichen, da diese absichtlich den Zugang für Nutzer ermöglichen. Indem der Europäische Gerichtshof im vorliegenden Fall selbst das Kriterium des Erwerbszweckes für nicht maßgeblich hält, lässt sich das Kriterium der Absicht so verstehen, dass der Handelnde sich vom bloßen Dienstleister zum wiedergebenden Werkmittler aufschwingen muss. Ist das Bereitstellen also mehr als eine zusätzliche Hauptleistung zum bereits bestehenden Leistungsangebot zu verstehen, ist der Zwischenschritt zur Wiedergabehandlung erfüllt. Handelt es sich hingegen um eine Nebenleistung, wie beispielsweise die Bereitstellung von Einrichtungen, über die in Zügen Hintergrundmusik abgespielt werden kann, scheidet eine öffentliche Wiedergabe aus. Dies zeigt sich insbesondere mit der aktuellen Blue Air Aviation-Entscheidung, die den Gedanken der „Autovermietung“-Entscheidung aufgreift und auf Personenbeförderungsmittel überträgt. In den Fällen fand die Bereitstellung als Nebenleistung statt, wodurch es an einer gezielten Weiterleitung fehlte und das Verwertungsrecht der öffentlichen Wiedergabe nicht verletzt wurde.

 

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b) Ein neues Kriterium, nationale Gebotsnormen?

Neu hinzugekommen durch die Blue Air-Entscheidung ist, dass das bloße Bereitstellen einer Einrichtung, die eine Werkwiedergabe ermöglicht oder bewirkt, auch dann nicht automatisch eine Wiedergabehandlung ist, wenn eine solche Einrichtung nach nationalen Rechtsvorschriften (Geboten) vorgeschrieben ist (Rn. 68). Leider führt der EuGH zu diesem Punkt nichts weiter aus, sodass es sich zwar in der konkreten Entscheidung nur um eine Nebenbemerkung handelt. Allerdings könnte es sich bei dem Aspekt einer nationalen Gebotsnorm, die den Einbau (beispielsweise) von Lautsprecheranlagen in Personenbeförderungsfahrzeugen vorsieht, um den Beginn eines neuen Abwägungskriteriums handeln. Zumindest wird die untere Schwelle zur bloßen Bereitstellung als tatbestandsirrelevante Handlung insoweit hierdurch gestärkt, dass auch das bloße Vorhandensein solcher Einrichtungen grundsätzlich nicht automatisch zu einer Wiedergabehandlung führt, insbesondere dann nicht, wenn der Einbau zwingend durch die nationale Rechtsordnung vorgeschrieben ist. Ob sich dieser Gedankengang auch auf andere nicht staatliche Gebote übertragen lässt, ist allerdings zweifelhaft und bleibt abzuwarten.

2. Nationale Vermutungsregel für das Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe verstößt gegen EU-Recht

Wirklich neu in der Entscheidungsreihe der öffentlichen Wiedergabe ist die Beantwortung der Vorlagefrage, ob eine Vermutungsregel für das Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe besteht, sofern eine wiedergabefähige Einrichtung installiert wurde. Im rumänischen Recht wurde aus dem gesetzlich vorgeschriebenen Einbau von Lautsprecheranlagen im Wege der Auslegung der nationalen Gerichte von einer widerleglichen Vermutung einer öffentlichen Wiedergabe festgelegt wird. Da die Auslegung nationaler Rechtsnormen ausschließliche Aufgabe der vorlegenden Gerichte ist, entschied der EuGH unter der Prämisse, dass de lege lata eine solche gesetzliche widerlegliche Vermutungsregel besteht. Kernziele der InfoSoc-Richtlinie sind die Überwindung von unterschiedlichen Schutzniveaus in den einzelnen Mitgliedstaaten, die zu Rechtsunsicherheiten führen und die Funktionalität des Binnenmarktes und des technischen Fortschritts innerhalb Europas beeinträchtigen (Erwägungsgründe 1,6,7 InfoSoc-RL, Rn. 78). Aufgrund der daraus abzuleitenden vollharmonisierenden Wirkung der Richtlinie führt auch ein weiter gehender Schutz zu einer rechtlichen Inkohärenz, sodass eine nationale Regelung, wonach das Vorhandensein eines Lautsprechersystems in einem Beförderungsmittel eine widerlegliche Vermutung der öffentlichen Wiedergabe begründet, nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist (Rn. 84). Dabei betonte der EuGH insbesondere, dass der Unterschied zu seiner Gastwirtschafts– und Hotelrechtsprechung in der absichtlichen Übertragung und Zugangsermöglichung der Dienstleistungserbringer zu sehen ist (Rn. 71).

3. Durchsetzungsprobleme?

Aus dem Zusammenspiel der Entscheidungsgründe bestätigt sich nochmal, dass eine faktische Wiedergabe zur Erfüllung des Verbotstatbestands nicht stattfinden muss, wodurch es zu Durchsetzungsproblemen, wie beispielsweise die Ermittlung der Vergütungspflicht, kommen kann (Dreier, GRUR 2023, 871, 873). Thomas Dreier verweist daher auf die Möglichkeit einer tatsächlichen widerleglichen Vermutung im Rahmen des nationalen Beweisrechts. Für Fälle, in denen die Vergütungspflicht aufgrund unüberwindbarer Schwierigkeiten nicht feststellbar ist, hat der EuGH in Bezug auf die Privatkopienvergütung eine tatsächliche Vermutung als zulässig erachtet (Copydan Båndkopi, Rn. 24). Allerdings zeigt sich schon aus der Konstellation der unüberwindbaren (unmöglichen) Feststellung, dass es sich dabei um besondere Ausnahmen im jeweiligen Einzelfall handelt. Eine generelle Beweislasterleichterung im Wege einer tatsächlichen widerleglichen Vermutung würde faktisch zu einer Schutzbereichserweiterung des Ausschließlichkeitsrechts (über den Harmonisierungsstandard hinaus) führen. Doch genau die daraus resultierende Gefährdung für den Binnenmarkt durch unterschiedliche Schutzniveaus wollte der EuGH mit seiner Entscheidung unterbinden. Insofern dürfte mit gleicher Begründung auch eine tatsächliche widerlegbare Vermutung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sein (wohl für eine Vereinbarkeit Dreier, GRUR 2023, 871, 874).

II. Nationale Rechtsprechung – Bundesweiter Diskussionsbedarf um Seniorenheime und ein Innominatfall aus Köln

Während sich in den letzten Monaten auf europäischer Ebene mit der ersten der beiden Hauptvoraussetzungen einer öffentlichen Wiedergabe (Handlung der Wiedergabe) befasst wurde, beschäftigte sich die nationale Rechtsprechung vor allem mit dem Öffentlichkeitsbegriff, insbesondere bezüglich der Lage in Seniorenwohnheimen. Darüber hinaus finden sich spannende Sachverhaltskonstellationen auf dem Amazon Marketplace.

1. Wie privat ist ein Seniorenheim?

Den Startschuss der bisher divergierenden oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung legte das Kammergericht bereits mit Beschluss vom 10. Juni 2020. Dieser Entscheidung schloss sich nunmehr das OLG Dresden (Urt. v. 4.1.2023, 14 U 1307722, bisher nicht frei verfügbar, zu finden in GRUR-RS 2023, 732) an, woraufhin nur kurze Zeit später das OLG Zweibrücken beiden Entscheidungen energisch widersprach. Doch was ist eigentlich der Streitpunkt, könnte man nicht grundlegend von einem idyllischen Fernsehnachmittag im Seniorenheim ausgehen?

 

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Doch egal ob Hotelanlage, Eckkneipe, Passagierflugzeug oder Seniorenheim, wer anderen ein Sendesignal absichtlich ausstrahlt oder den Zugang hierzu ermöglicht, erfüllt in aller Regel und unstreitig, insbesondere wenn ein Signal tatsächlich auch wiedergegeben wurde, den Tatbestand der Wiedergabehandlung. Um insgesamt von einer Verletzung des Verwertungsrechts ausgehen zu können, muss die Handlung der Wiedergabe zusätzlich „öffentlich“ erfolgen. Bemerkenswert ist dabei die Selbstverständlichkeit beider Gerichte, die trotz der Vollharmonisierung der öffentlichen Wiedergabe und der offensichtlich ungeklärten Frage der Begrenzung des Öffentlichkeitsbegriffs, eine Vorlage nicht nur nicht in Erwägung gezogen haben (OLG Dresden), sondern ausdrücklich keinen Anlass hierzu sahen (OLG Zweibrücken, Rn. 40).

a) Der Öffentlichkeitsbegriff des EuGH

Zugegeben ist es teilweise schwer mit den Bestimmungskriterien des EuGH zu jonglieren, wenn dieser verlangt, die Wiedergabe müsse sich an „ziemlich viele Personen“ richten. Was man mittlerweile gefestigt weiß, die ehemalige nationale Tendenz des BGH das „wenige Personen“ ausreichen (so noch BGH – Internet-Videorecorder, Rn. 35) ist überholt und mit der vom EuGH geforderten Mindestschwelle an Personen, damit eine Öffentlichkeit vorliegt, nicht mehr aufrechtzuhalten. Vielmehr soll eine kleine oder unbedeutende Mehrzahl an betroffenen Personen gerade nicht für die Begründung einer Öffentlichkeit ausreichen (SGAE/Rafael, Rn. 38; SCF, Rn. 86 f.). Zu der rein quantitativen Bestimmung des Personenkreises kommt als qualitative Voraussetzung (BeckOK/Götting, 38. Ed. 01.05.2023, § 15 UrhG Rn. 25e) hinzu, dass die Wiedergabe gegenüber einem neuen Publikum erfolgt (NUV/Tom Kabinet, Rn. 49). Handelt es sich bei dem angesprochenen Personenkreis um eine klar definierte und geschlossene Personengruppe, findet die Wiedergabe gerade nicht öffentlich statt. Es kommt mithin entscheidend darauf an, ob sich der Empfängerkreis als Privatgruppe durch eine private Verbundenheit auszeichnet, sodass nicht mehr von einer Wiedergabe gegenüber einer neuen Öffentlichkeit ausgegangen werden kann. Allerdings ist die vom EuGH verlangte persönliche Verbundenheit weiter zu fassen, dass die Verbundenheit im Sinne des § 15 Abs. 3 UrhG. Auch der BGH interpretiert das Kriterium der privaten Verbundenheit unter Heranziehung der europäischen Entscheidungen zuweilen weiter, wonach es in Ausnahmen ausreichen kann, dass ein Personenkreis auch ohne persönliche Verbundenheit so abgrenzbar ist, dass keine neue Öffentlichkeit angesprochen wird (BGH – Ramses, Rn. 64 ff.). Spätestens an dieser Stelle verlässt man jedoch den dogmatisch normativen Auslegungsweg und begibt sich auf die hohe See der wertenden Gesamtbetrachtung. Denn in welchen Fällen eine persönliche Verbundenheit vorliegt, lässt sich hauptsächlich weiterhin nur durch die vielen Einzelentscheidungen des EuGH, die sich leider nicht immer schlüssig komplementieren, als Orientierungshilfen kategorisieren.

Bei der Bestimmung der persönlichen Verbundenheit geht es demnach letztlich entscheidend um die Frage, ob in Fällen der Präsenzwiedergabe für die Öffentlichkeit generell eine Teilhabemöglichkeit besteht und so die Wiedergabe einem neuen Personenkreis zugänglichgemacht wird, wohingegen eine tatsächliche persönliche Verbundenheit (im engeren Sinne), wie sie § 15 Abs. 3 UrhG nach seinem Wortlaut verlangt, gerade kein maßgebliches europäisches Kriterium ist (Fischer/Wasnick, Twitter und das Urheberrecht, RuZ 2021, 230 ,245; Wandtke/Bullinger/Heerma, 6. Aufl. 2022, § 15 UrhG Rn. 27; diese Tendenz zeigt sich punktuell auch in der bereits angesprochenen jüngeren Rechtsprechung des BGH).

 

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b) Telos der öffentlichen Wiedergabe

Neben der Masse an entschiedenen Einzelfällen hilft es bei der Bestimmung der Öffentlichkeit, nicht nur an den qualitativen und quantitativen Schwellen „starr“ festzuhalten, sondern auch einen Fokus auf den Grundtelos des Verwertungsrechts zu legen. Denn durch die Präsenzwiedergabe von Werken stellt sich für Urheber das gleiche Problem wie bei der Verbreitung und Wiedergabe im digitalen Raum. Durch das Bereitstellen urheberrechtlicher Werke gegenüber einem unüberschaubaren Nutzerkreis verlieren Urheber gänzlich den Überblick über die Verwertung ihrer Werke. Nichts anderes wird durch die Erwägungsgründe 4, 9 und 10 der InfoSoc-RL klargestellt, die als eines der Hauptziele das hohe Schutzniveau der Urheber bestimmen, um diesen die Möglichkeit der angemessenen Vergütung an der Verwertung ihrer Werke zu ermöglichen. Abstrahiert zeigt sich daran das allgemeine urheberrechtliche Spannungsfeld zwischen Amortisierungsinteresse des Urhebers und dem Freihaltebedürfnis der Kulturinteressen. Mit diesem Hintergrund wirken einzelne EuGH-Entscheidungen im Rahmen der öffentlichen Wiedergabe auch weniger ausreißend oder überraschend. Daher ist auch die von Heerma (Wandtke/Bullinger/Heerma, 6. Aufl. 2022, § 15 UrhG Rn. 28) aufgestellte Faustregel, je mehr Personen Zugang zum Werk erhalten, desto eher fehle es an der persönlichen Verbundenheit und umgekehrt, völlig zutreffend.

c) Die Lage in Seniorenheimen

Nichtdestotrotz lassen sich speziell für die Konstellation der öffentlichen Wiedergabe in Seniorenheimen einige Urteile als Entscheidungshilfe heranziehen. Zeichnet sich die Gemeinsamkeit des Empfängerkreises nur durch einen gemeinsamen Erwerbs-, Nutzungs-, oder Genusszweck aus, liegt keine private Gruppe und somit eine öffentliche Wiedergabe vor. Gleiches gilt erst recht, wenn der Empfängerkreis über den bloßen Nutzungszweck hinaus nur durch die Kapazitäten des Betreibers begrenzt wird (Hotel PPL/Ireland, Rn. 41). Um von einer privaten Gruppe ausgehen zu können muss zwischen ihnen daher mehr als nur ein genereller (individueller) Leistungszweck gegeben sein, um sie von Personen im Allgemeinen abgrenzen zu können. Das vom EuGH verlangte „Mehr“ als ein genereller Leistungswille, meint gerade die Kernfrage, ob der Kreis der Personen in sich geschlossen ist oder es sich um einen nicht abgrenzbaren Empfängerkreis handelt. Als Pendant zur Hotel-Rechtsprechung verwundert es daher auch nicht, dass die Musikwiedergabe in Zahnarztpraxen sogar trotz gegebener Wiedergabehandlung in der Regel keine öffentliche Wiedergabe ist. Unter anderem handelt es sich dabei um eine nur kleine abgrenzbare, also überschaubare, Anzahl an Personen, die in sich eine abgeschlossene Gruppe mit wenig Fluktuation (der EuGH spricht insoweit von einer „Gesamtheit von Personen, deren Zusammensetzung weitgehend stabil ist“: SCF, Rn. 95) ist.

Zwischen diesen beiden Leitentscheidungen des EuGH dürfte sich die Beurteilung der Situation in einem Seniorenheim einordnen. Im Unterschied zu einer einzelnen Arztpraxis ist dort die Personenanzahl die zeitgleich in den Werkgenuss kommt von Natur aus schon um ein Vielfaches höher, womit die Ausgangslage in Seniorenheimen mit der eines Hotels vergleichbar ist. Allerdings liegt im Vergleich zur Arztpraxis wiederum ein erheblicher Unterschied im Kriterium der Fluktuation, denn diese ist deutlich geringer. So ist ein Seniorenheim zwar von der tatsächlichen anwesenden Personenanzahl viel mehr mit der eines Hotels oder einer Gaststätte vergleichbar, grenzt sich aber auch hier mit einem erheblich kleineren Personenwechsel ab. Einerseits spricht daher die anwesende Personenzahl (wie bei Hotelbetreibern) eher gegen eine in sich geschlossene Gruppe, andererseits überwiegt die Beständigkeit der Personengruppe eben auch deutlich für eine privat verbundene Gruppe. Durch die nochmalige explizite Betonung in seiner Blue Air-Entscheidung, dass der Öffentlichkeitsbegriff auch anhand der Anzahl der Personen zu bestimmen ist, die nacheinander Zugang zu dem wiedergegebenen Werk haben können, zeigt sich die Wichtigkeit der Gesamtschau bei der Bestimmung des Öffentlichkeitsbegriffs. Es bietet sich daher an, diesen Gedanken auch auf die Situation in Seniorenheimen zu übertragen, die sich gerade dadurch auszeichnet, dass es sich zwar um einen größeren anwesenden Personenkreis handelt, dieser aber anhaltend in sich stabil ist und wenig Personenaustausch stattfindet. An dieser Stelle unterscheidet sich mithin auch die hiesige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte.

d) Divergierende Ansichten der Oberlandesgerichte

So ist nach dem OLG Dresden, in Anlehnung an die „Hotelzimmer“-Entscheidung, der gemeinsame Mietvertrag mit dem Heimbetreiber die einzige Verbindung zwischen den Heimbewohnern, die nicht über diesen gemeinsamen Leistungszweck hinaus geht. Vielmehr sollen das Alter, die beeinträchtigte Gesundheit und die annähernd gleiche soziale Lage nur bloße äußere Anlässe sein, weshalb Heimbewohner ein solches Seniorenheim aufsuchen und sie zu keiner privaten Gruppen zusammenfügen. Makaber wird die Entscheidung des OLG Dresden, indem „angesichts der besonderen persönlichen Lebenssituation des einzelnen und seiner Mitbewohner“ davon ausgegangen wird, dass Heimbewohner „nur eine sehr begrenzte Kommunikation“ haben. Zurecht kritisiert das OLG Zweibrücken an dieser Stelle, dass die Möglichkeit der sozialen Interaktion von Bewohnern in Pflegeheimen unzulässig in pauschalisierender Weise in Abrede gestellt wird. Da Kommunikation insbesondere auch nonverbal stattfindet, ist das Bild des durchschnittlichen Heimbewohners, welches das OLG Dresden offensichtlich wählte, äußerst fragwürdig. Überzeugender erscheint es daher mit dem OLG Zweibrücken weniger auf den gesundheitlichen Zustand der Bewohner abzustellen, als auf die faktische Lage. So ist die Lage gerade mit Blick auf die, trotz der Berücksichtigung des regelmäßig vorgeschrittenen Alters der Kunden, geringe Fluktuation in Seniorenheimen mit dem Eigentümerwechsel bei einer Wohnungseigentumslage vergleichbar (OLG Zweibrücken, Rn. 29), in der gerade keine öffentliche Wiedergabe stattfindet (BGH – Ramses, Rn. 50). Zutreffend stellt das OLG Zweibrücken darüber hinaus fest, dass sich die Situation in Senioren- und Pflegeheimen im Vergleich zur Wohnungseigentumslage gerade dadurch auszeichnet, dass die Heimbewohner durch die typischen Gemeinschaftsräume nicht nur gemeinsame Mahlzeiten zu sich genommen werden, sondern auch die Möglichkeit des Austausches und des sozialen Miteinanders eröffnet werden (OLG Zweibrücken, Rn. 29). Hieraus leitet das Gericht eine stärkere persönliche Verbundenheit ab, die über den bloßen gemeinsamen Leistungszweck hinausgeht und beispielsweise auch auf soziale Interaktion gerichtet ist. Die in diesen Punkten überzeugendere Entscheidung dürfte zudem auch mehr im Einklang mit der dargestellten Rechtsprechung des EuGH stehen, insbesondere da Gemeinschaftsräume in Hotels aufgrund der dort herrschenden hohen Fluktuation gerade nicht dem Aspekt des langfristigen sozialen Miteinanders dienen. Dies spiegelt sich auch in den Statistiken über die durchschnittliche Verweildauer in Pflege- und Seniorenheim wider, die zwar über die letzten Jahre abnehmend ist, weiterhin selbstredend im Vergleich zu den bekannten Sachverhalten der Urteile um ein Vielfaches höher ist, wodurch sich die Personengruppe als in sich geschlossen darstellt. Pauschale Aussagen über die Verweildauer sind insofern schwierig, da sie unter anderem stark von dem jeweiligen Einzugsalter der Person abhängig ist. In einer älteren Statistik von 1999 betrug die durchschnittliche Verweildauer altersübergreifend bei 5,8 Jahren (Bickel, Demenzkranke in Alten- und Pflegeheimen: Gegenwärtige Situation und Entwicklungstendenzen, Tabelle 1: Durchschnittliche Verweildauer in Heimen). Eine Statistik von 2015 untersuchte den Zeitraum 2004-2014, dort lag die durchschnittliche Dauer, mit einem Hinweis auf eine hohe unterschiedliche geschlechterspezifische Verteilung, bei ca. zwei Jahren und sechs Monaten (Statistik des Alters-Institut). Die durchschnittliche Verweildauer in einem Rehabilitationszentrum, in der ein ähnlicher Sachverhalt als öffentliche Wiedergabe beurteilt wurde und den der EuGH gerade mit der Hotelsituation völlig vergleichbar fand (Reha Training/GEMA, Rn. 55, 61), beläuft sich beispielsweise für die Jahre 2019-2021 auf rund 25 Tage.

 

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Schaut man sich zusätzlich die Internetauftritte von Seniorenheimen an, so stellt man fest, dass regelmäßig die Förderung der Gemeinschaft und des Zusammenlebens innerhalb des Heims ein elementarer Bestandteil des Leistungsangebots ist. Aufgrund der unterschiedlich ausgefallenen Entscheidungen der Oberlandesgerichte ist mittlerweile die Revision (unter dem Aktenzeichen Az. I ZR 34/23) beim BGH zugelassen. Es bleibt also mit Spannung abzuwarten, wie dieser sich zu der Lage positionieren wird oder ob es nicht schon bald eine weitere Vorlagefrage für den EuGH geben wird. Die überzeugenderen Gründe sprechen wie dargelegt gegen eine öffentliche Wiedergabe in von Sendesignalen in Seniorenheimen.

e) Unterschied zwischen Tagespflege und betreutem Wohnen?

Deutlich schwieriger wird die Beurteilung allerdings, sofern das Geschäftsmodell einer solchen Einrichtung verschiedene Pflegearten wie beispielsweise auch die Kurzzeitpflege vorsieht. So wies schon das OLG Dresden darauf hin, dass infolge von Kurzzeit- und Verhinderungspflege ein erhöhter Wechsel des Personenkreises stattfindet, die Zugang zu den urheberrechtlichen Werken erhalten, sodass sie kumulativ bei der Bewertung des Personenkreises zu berücksichtigen seien (OLG Dresden, Rn. 12). Daraus folgert das Gericht, dass durch die Fluktuation innerhalb der gesamten Gruppe lediglich gleich gerichtete Interessen auf die Unterbringung, also nur ein gemeinsamer Leistungszweck, vorliege und das Bewusstsein der Heimbewohner, in einer Gemeinschaft zu leben, daran nichts ändere (OLG Dresden, Rn. 24 f.). Wann durch eine parallel angebotene Kurzzeitpflege die Schwelle erreicht ist, damit die Personengruppe unbestimmbar wird und durch den Personenwechsel keine in sich geschlossene Gruppe mehr vorliegt ist freilich im Einzelfall zu klären und hängt stark von den absoluten Zahlen der Heimbewohner insgesamt und dem prozentualen Anteil des stetigen Personenwechsels ab. Dem OLG Zweibrücken reichten drei zusätzliche Zimmer für die Kurzzeitpflege zu den insgesamt 88 Einzel- und 3 Doppelzimmer jedenfalls nicht aus, um von einem entscheidend anderen Gepräge der Gruppe auszugehen (OLG Zweibrücken, Rn. 29). Insgesamt sollte der prozentuale Anteil einen maßgeblichen Einfluss auf die Heimverteilung haben, um so auch bei der Frage der privaten Verbundenheit berücksichtigt werden zu können. Denn auch nur dann wird der Schutzzweck des Verwertungsrechts tatsächlich gefährdet, indem die einen Zugang erhaltenen Personengruppe unüberschaubar wird und so Schutzlücken für die Inhaber der Schutzrechte entstehen.

2. Ein Innominatfall aus Köln?

 

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Neben den Abgrenzungsfragen des Öffentlichkeitsbegriffs in Seniorenheimen beschäftigte sich auch das OLG Köln mit der öffentlichen Wiedergabe, allerdings mit einer durchaus spektakulär klingenden Entscheidung. So nahm der 6. Zivilsenat nicht weniger als einen sogenannten (nationalen) Innominatfall an, also einen nicht in § 15 Abs. 2 UrhG benannten Fall der öffentlichen Wiedergabe und äußerte sich zugleich zu dem schwierigen Abgrenzungsbereich der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) und der „allgemeinen“ öffentlichen Wiedergabe (§ 15 Abs. 2 UrhG). Doch nicht nur aus dogmatischer Sicht handelt es sich dabei um eine spannende Entscheidung, denn der Sachverhalt spiegelt das klassische Alltagsgeschäft von Großverkäufern auf Amazon wider. Insbesondere stellen sich dabei auch wichtige Fragen zum Umfang von möglichen Kontrollpflichten.

a) Die Struktur des Amazon Marketplace – eine ASIN für Alle

Wer Amazon und dessen Marketplace als gewerbliches Verkaufsportal nutzt, ist auf die sogenannte Amazon Standard Identification Number (ASIN) angewiesen. Um doppelte und unterschiedliche Produktseiten zu verhindern, arbeitet Amazon zur effizienteren Verwaltung des Verkaufsportals mit feststehenden Produktinformationen für einen bestimmten Artikel. So gibt es für jeden Verkaufsgegenstand eine zugeschriebene ASIN, über die neben den Produktinformationen auch Produktbilder verknüpft werden. Möchte man nun beispielsweise einen Staubsauger der Marke X über Amazon verkaufen, wird über die ASIN automatisch die Produktseite erstellt; inklusive der vorgegebenen Produktinformationen und dazu passenden Produktfotos. Dementsprechend existiert aus Käufersicht jeweils nur eine einheitliche Produktseite für den aufgerufenen Artikel. Auf der Produktseite werden dann die verschiedenen Händler sowie verschiedene Zustandsoptionen und unterschiedliche Preise aufgelistet. Wichtig dabei ist, dass eine Neuanlegung (Zweitseite) für eine bereits mit einer ASIN verknüpften Verkaufssache nach den Richtlinien von Amazon verboten ist. Die über die ASIN hinterlegten Informationen dürfen grundsätzlich nur von demjenigen Anbieter verändert werden, der sie ursprünglich angelegt hat. Vorgenommene Änderungen auf der Produktseite werden den anderen Verkäufern, die auf die ASIN zurückgreifen, nicht mitgeteilt. Verkäufer, die nicht Ersteinsteller eines Produktes sind, haben dadurch keinen Einfluss auf die jeweiligen Informationsverknüpfungen.

Im konkreten Fall vor dem OLG Köln verkaufte die Beklagte einen Kunstmaschinenbildband mittels dem beschriebenen Ablauf des Amazon Marketplace. Über die ASIN wurden Ablichtungen des Buches (Lichtbilder) mit der Produktseite verknüpft, an denen die Rechteinhaberin und Klägerin weder an die Beklagte noch an Amazon Nutzungsrechte einräumte. Dass es sich bei diesen Sachverhalten um alltägliche Massengeschäfte handelt, zeigt bereits schon das Verkaufsvolumen der Beklagten, die alleine über Amazon 7,6 Mio. Produkte jährlich, pro Tag ca. 20.000 bis 22.000 Artikel, verkauft und dabei ungefähr nach eigenen Angaben 4,65 Mio. verschiedene Artikel als ständiges Angebot bereitstellt. Insgesamt lässt sich der Sachverhalt sehr mit dem Framing vergleichen. Ein durch eine dritte Person öffentlich wiedergegebenes Werk wird mit einer „eigenen“ Webseite (hier: Angebotsseite) verknüpft, wobei lediglich der Betreiber der „fremden“ Internetseite (hier: Amazon) den Zugriff auf das Werk hat, mithin allein darüber entscheidet, ob es der Öffentlichkeit weiterhin zugänglich bleibt (vgl. BGH – Deutsche Digitale Bibliothek, Rn. 16).

 

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b) Warum ein Innominatfall?

Der Hauptunterschied zu den bisher dargestellten Urteilen der öffentlichen Wiedergabe liegt darin, dass der Sachverhalt sich nicht mit der Weiterleitung bzw. der öffentlichen Wiedergabe eines Sendesignals beschäftigt (§§ 20-22 UrhG), sondern sich eigentlich im digitalen Bereich der öffentlichen Zugänglichmachung (§19a UrhG) bewegt. So far so good, würde man den Sachverhalt schlicht unter die gegenwärtige Entscheidungspraxis des EuGH zur öffentlichen Wiedergabe im Internet subsumieren können, wenn nicht nationale (eigentümliche) Rechtsbestimmungen den Weg der direkten Anwendung des vollharmonisierten Rechts erschweren würden. Denn öffentliche Wiedergabe ist nicht gleich öffentliche Zugänglichmachung.

Hintergrund dieses Problems ist die Ausgestaltung des UrhG, respektive des § 19a UrhG. Denn der Tatbestand der öffentlichen Zugänglichmachung ist nur dann erfüllt, wenn das urheberrechtliche Werk von Orten und zu Zeiten nach Wahl des Abrufers zugänglich ist. Auf Grundlage des Wortlautes stellen die Fälle der Verlinkungen bzw. Framings gerade keine eigene Nutzungshandlung der öffentlichen Zugänglichmachung dar, weil nur der Betreiber der ursprünglichen Internetseite über die Abrufmöglichkeit des Werkes entscheidet (zurückgehend auf BGH – Internet-Videorekorder I, Rn. 27; BGH – Die Realität II, Rn. 14; BGH – Vorschaubilder III, Rn. 19). Aus diesem Grund subsumiert der BGH und auch die herrschende Literatur Verlinkungen oder das Framing gerade nicht unter den Tatbestand des § 19a UrhG, sondern nimmt einen unbenannten Fall des Verwertungsrechts (Innominatfall) im Sinne des § 15 Abs. 2 UrhG an. Die Beweggründe für den Gang „übers Eck“ liegen wesentlich wie bereits angedeutet im Wortlaut des § 19a UrhG. Denn dieser umfasst nicht die anschließende Übermittlung des Werks. Demnach wird streng zwischen dem Bereithalten zum Abruf (= §19a UrhG) und der Übermittlung bzw. dem tatsächlichen Abruf (= unbenanntes Verwertungsrecht gemäß § 15 Abs. 2 UrhG) unterschieden. Aufgrund dessen ist die Beherrschbarkeit des zu Verfügung gestellten Inhalts eine zwingende Voraussetzung des Tatbestands der öffentlichen Zugänglichmachung.

Dabei ist diese strickte Grenzziehung ebenso eng mit der Frage verbunden, in welchem Verhältnis die öffentliche Zugänglichmachung zum Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG) steht. Denn die der Zugänglichmachung vorausgehende Vervielfältigung ist eine eigenständige Werknutzung, die insbesondere nicht von der Nutzungshandlung des § 19a UrhG umfasst ist und von ihr konsumiert wird (Schricker/Loewenheim/v. Ungern-Sternberg, 6. Aufl. 2020, § 19a UrhG Rn. 64 m.w.N.). Gerade für nur vorrübergehende Vervielfältigungen greift daher in der Regel die Schranke des § 44a UrhG. Die vorgelagerte Vervielfältigungshandlung, beispielsweise das Speichern auf der Festplatte oder einem Server, entscheidet jedoch darüber, wer den tatsächlichen Zugriff auf das zugänglich gemachte Werk hat. Wenn dementsprechend ein Dritter, der durch das Framing fremde Inhalte, auf die er keinen Einfluss hat, lediglich in eigene Webangebote einbindet, liegt mangels Speichervorgang bereits keine Vervielfältigungshandlung im Sinne des § 16 UrhG vor. Diese muss allerdings als vorausgehende Handlung vorgenommen worden sein, um einen Einfluss auf die Verfügbarkeit des Werkes zu haben. Dieser Einfluss wiederum ist gerade darüber entscheidend, ob das Verwertungsrecht des § 19a UrhG verletzt wird oder nicht.  

Insofern ist der Weg „übers Eck“ zwar ein etwas mühseliger, in sich jedoch dogmatisch stimmiger und aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 19a UrhG auch der methodisch einzig haltbare Weg. Zwar ist der Ansicht, die auch die Übermittlungshandlung von § 19a UrhG als umfasst ansieht, zugute zu halten, dass sie pragmatisch und im Ergebnis vor dem Hintergrund der Rechtsvereinheitlichung durchaus wünschenswert ist. Eine derartige Auslegung der Norm ist aufgrund des eindeutigen Wortlauts allerdings unzulässig (Schricker/Loewenheim/v. Ungern-Sternberg, 6. Aufl. 2020, § 19a UrhG Rn. 32 m.w.N.; aA Dreier/Schulze/Dreier, 7. Aufl. 2022, § 19a UrhG Rn. 1 m.w.N.). Dementsprechend müsste der Wortlaut des § 19a UrhG geändert werden, bisherige Anträge hierzu blieben allerdings im Gesetzgebungsverfahren erfolglos (Bericht des BT-Rechtsausschusses BT-Drs. 15/837, S. 29).

Die Annahme eines unbenannten Verwertungsrechts nach § 15 Abs. 2 durch das OLG Köln klingt daher zunächst spektakulär, ist allerdings nur konsequent, sofern man den Sachverhalt mit denen des Framings vergleicht (OLG Köln, Rn. 40) und reiht sich damit in die bereits bestehende „Framing-Rechtsprechung“ des BGH ein. Allerdings ist zu beachten, dass der Sachverhalt nicht vollständig übertragbar ist, da beispielsweise nur eine Marketplace-Anzeige besteht, auf der alle Verkäufer gemeinsam agieren, und somit der Vergleich zur Einbindung des Inhalts in das „eigene“ Angebot (Webseite) nicht ganz deckungsgleich ist. Unter anderem lehnte das OLG München in einer Entscheidung aus 2016 die öffentliche Zugänglichmachung mit ähnlicher Begründung wie das OLG Köln ab, äußerte sich jedoch nicht zu einem unbenannten Fall der öffentlichen Wiedergabe. Die Revision wurde unter anderem aufgrund der divergierenden Ansichten der Oberlandesgerichte zugelassen, sodass abzuwarten bleibt, wie der BGH sich positionieren wird. Vieles spricht jedoch dafür, denn Sachverhalt mit dem des Framings zu vergleichen und einen Innominatfall anzunehmen.

c) Ein weitreichendes Problem – Maßstab der Pflichtverletzung?

Innerhalb der Frage, ob durch das Einstellen des Angebots ein neues Publikum angesprochen wurde, also ob die Wiedergabehandlung öffentlich erfolgte, orientierte sich das OLG Köln richtigerweise an der europäischen Rechtsprechung zum Linksetzen. Demnach stellt das Setzen von Hyperlinks eine öffentliche Wiedergabe dar, wenn der Verlinkende die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung auf der anderen Internetseite kannte oder vernünftigerweise kennen können (GS Media, Rn. 55; Stichting Brein, Rn. 49). Handelt der Linksetzende jedoch mit Gewinnerzielungsabsicht trifft ihn die widerlegliche Vermutung, dass er die erforderlichen Nachprüfungen vorgenommen hat, um die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung ausschließen zu können (GS Media, Rn. 51; Stichting Brein, Rn. 49). Zu beachten ist allerdings, dass nach dem BGH auch bei Vorliegen der Gewinnerzielungsabsicht eine einzelfallabhängige Interessenabwägung vorzunehmen ist, damit unangemessene, allgemeine Kontrollpflichten festgelegt werden (BGH – Vorschaubilder III, Rn. 60f.).

 

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Im vorliegenden Fall stellt sich daher freilich die Frage, wie 7,6 Mio. jährlich angebotene Produkte überprüft werden können, da durch das ASIN-Verfahren zudem gerade keine Einflussmöglichkeit der Angebotsersteller besteht. Im Unterschied zu dem Sachverhalt der Vorschaubilder-Entscheidung haben Online-Händler eine andere Funktionstätigkeit für das Internet wie Betreiber einer Suchmaschine, weshalb sie sich gerade nicht auf die Privilegierungen der Dienstanbieter nach §§ 8 – 10 TMG berufen können (Rn. 40). In der Abwägung zwischen der noch zumutbaren Risikotragung des Unternehmens und der verletzten Urheberrechte stellte das OLG fest, dass zwar das auf einer vollständigen Automatisierung basierende Geschäftsmodell legitim sei, hierdurch allerdings auch die „Kehrseite“ des Modells in Kauf genommen werden müsse: dass damit einhergehende Haftungsrisiko (Rn. 42). Grundsätzlich könne dem Risiko der Haftung durch zwei Möglichkeiten begegnet werden, durch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit oder das Einkalkulieren von Schadensersatz im Finanzplan. Die Beklagte entschied sich für letzteres und bestritt nicht, dass sie keinerlei Überprüfungen vornehme.
Unvorteilhaft, nicht nur für die Beklagte, denn so äußerte sich das Gericht nicht zu möglichen Kontrollpflichten und deren Ausgestaltung wie zum Beispiel zeitliche oder inhaltliche Prüfungsintervalle (Rn. 42). Insofern bleibt es zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof die Chance nutzt, sich auch zu dieser Frage zu äußern, da vereinzelt bereits erstinstanzliche Urteile bestehen, die eine Kontrollpflicht in solchen Fällen für unangemessen hielten. So lehnte das LG Hamburg bereits in einer Entscheidung von 2017 die Zumutbarkeit der Überprüfung für Fälle, in denen im Rahmen von automatisierten Framings Angebote einer Verkaufsplattform durch Affiliate-Links auf dem eigenen Webangebot eingebunden werden, ab. Das OLG Köln sah einen wesentlichen Unterschied der Sachverhalte darin, dass ein Affiliate-Modell lediglich über einen Umweg Umsätze generiert und der unmittelbare Verkauf auf der Plattform daher die Rentabilität des Geschäftsmodells in einem anderen Lichte erscheinen ließe. Insgesamt zeichnet sich schon jetzt eine enorme Einzelfallabhängigkeit dieser Fälle ab, weshalb eine erste höchstrichterliche Entscheidung auch unter diesem Aspekt für Rechtsklarheit sorgen könnte. 

Mit Blick auf die Revision enthält das insgesamt schlüssige und überzeugende Urteil des OLG Köln zwei zusätzliche Aspekte, die durchaus diskutabel sind. Dem Einwand, dass Angebotsersteller keinen Einfluss auf die ASIN-Verknüpfung haben und dementsprechend auch keine Änderungsmöglichkeiten haben, entgegnete der Senat mit zwar durchaus begrüßenswerten, jedoch eher allgemein juristischen Überlegungen. Durch die vertragliche Verbindung zwischen Amazon und Angebotsersteller ist es letzterem „deutlich eher zuzumuten, diese außerhalb Deutschlands ansässige Betreiberin in Anspruch zu nehmen als die Klägerin [Rechteinhaberin], die weder mit der Beklagten noch mit amazon.de zuvor in Verbindung stand“ (Rn. 43). Dem ist faktisch zuzustimmen, da ein möglicher Regressanspruch gegen Amazon in der Tat einfacher geltend zu machen sein dürfte. Ob diese Argumentation jedoch Bestand haben wird, kann durchaus auch bezweifelt werden. Insbesondere unter dem Aspekt, dass sich aufgrund der fehlenden Einflussmöglichkeiten die Prüflicht der Angebotsersteller auf dem Marketplace auf „Überprüfen“ und „Melden“, statt „Überprüfen“ und „Löschen“, beschränken dürfte und sich hierdurch der Pflichtenmaßstab verringern dürfte.