Patentrecht,  Urheber- und Medienrecht

Wie war es eigentlich auf der GRUR 2023? – Tagungsbericht

Ein Beitrag von Caman Derakhshan und Lars Wasnick

Der Beitrag stellt als Tagungsbericht aktuelle Entwicklungen im Patent- und Urheberrecht dar, die derzeit Wissenschaft und Praxis beschäftigen.

 

 

 

Liebe Leserinnen und Leser, das wissenschaftliche Team von Herrn Prof. Dr. Jan Busche hatte letztes Jahr die Gelegenheit, an der GRUR-Jahrestagung in Mannheim teilzunehmen. Entsprechend den parallel stattfindenden Vorträgen auf der Tagung teilte sich auch unser Team nach den jeweiligen Forschungsschwerpunkten auf, sodass Sie nun nachfolgend in zwei Teilen die Geschehnisse rund um das Patentrecht (Caman Derakhshan) und Urheberrecht (Lars Wasnick) in einem ausführlicheren Tagungsbericht nachverfolgen können.

I. Einheitspatentgericht UPC

Ein nach wie vor sehr spannendes und wichtiges Thema im Patentrecht ist die Aufnahme der Tätigkeit des einheitlichen Patentgerichts zum 01. Juni 2023. Dazu hatte die GRUR in diesem Jahr Vertreter dreier großer Unternehmen aus den Bereichen Pflanzenschutz, Elektronik und Optiken geladen, die Ihre Erwartungen an das neue einheitliche Patentgericht vortrugen. Folgende Aspekte traten dabei insbesondere hervor:

1. Unterlassungsanspruch

Zwei der drei eingeladenen Vertreter betonten die Bedeutung des Unterlassungsanspruches als Kern des Ausschließlichkeitsrechts und mithin letztlich des Patentschutzes. Der Unterlassungsanspruch müsse zur Sicherstellung eines starken Patentstandortes „automatische“ Rechtsfolge einer Rechtsverletzung sein („automatic injunction“). Verhältnismäßigkeitserwägungen dürften insoweit nur als „Sicherheitsventil“ in Ausnahmefällen einfließen (siehe zum Begriff und zur Diskussion auch Ohly GRUR 2021, 304, 309). Einen Sonderfall stellten wohl die Erläuterungen des dritten Vertreters dar. Dieser sah im Verhältnismäßigkeitseinwand eine rechtliche Grundlage, geopolitische Verwerfungen durch den Missbrauch von Patenten zu berücksichtigen. Das Unternehmen des eingeladenen Vertreters ist Produzent besonderer, hochtechnologischer Produkte, die einen Grad an Präzision und mechanischer Feinheit aufweisen, welcher nur von zwei weiteren Konkurrenten erreicht würde. Problematisch sei dabei, dass beide Konkurrenten Ihren Sitz in Asien haben. Die Konkurrenten würden eine Vielzahl von Patenten anmelden und in Europa gegen das deutsche Unternehmen durchsetzen und mithin Unterlassungsansprüche erzwingen. Die Konkurrenten selbst seien jedoch nur im asiatischen Raum tätig und könnten nach den dortigen Rechtsordnungen nicht in vergleichbarer Weise in Anspruch genommen werden. Insofern äußerte der Vortragende die Hoffnung, dass das Einheitspatentgericht, das durch die supranationale Rechtswirkung der Urteile eine besondere Angriffsfläche zugunsten ausländischer Konkurrenten darstelle, solche politischen Verwerfungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit des Unterlassungsanspruchs berücksichtige. Ob das Einheitspatentgericht solche Konsequenzen in seiner Rechtsfindung berücksichtigt, wird abzuwarten sein. Problematisch dürfte der Einfluss solcher Überlegungen in den Regelungsgehalt des Patentrechts allemal sein.

2. Prüfung der Rechtsbeständigkeit

Von allen Vortragenden deutlich begrüßt wurde die Prüfung der Rechtsbeständigkeit und der Verletzung vor einer Kammer, da die Nachteile durch die Bifurkation im deutschen System („Injunction Gap“) so ausgeräumt würden. Die Möglichkeit, einen technischen Richter vor den Lokal- und Regionalkammern zu bestellen, wurde deutlich begrüßt. Große Erwartungen bestehen mithin an die Qualität der Rechtsbestandsprüfung. Vor diesem Hintergrund wurden die kurzen Fristen kritisch bewertet. Ferner befürchteten die Redner zum Teil ein „forum shopping“, das die Qualität der Entscheidungsfindung beeinträchtigen könne. Da Urteile der Patentkammern auch im Hinblick auf die Rechtsverletzung in Zukunft in allen teilnehmenden Staaten Wirkung entfalten, ist die Befürchtung groß, vor Ländern mit einer womöglich weniger etablierten patentrechtlichen Rechtsprechungspraxis verklagt zu werden.

3. Einstweilige Verfügungen

Auch die Möglichkeit der einstweiligen Verfügung vor dem Einheitspatentgericht war nach Aussage der Vortragenden ein weiteres starkes Instrument zur Rechtsdurchsetzung. Besonders für die einstweilige Verfügung wurde die Notwendigkeit einer sorgsamen und hochqualitativen Rechtsbestandsprüfung betont. Eine Rednerin forderte, dass kein Antrag auf einstweilige Verfügung aufgrund fehlenden Rechtsbestands zurückgewiesen werden dürfe, ohne dass zuvor ein technischer Richter hinzugezogen wurde. Ferner zeigten die Redner Erwartungen an eine flexible Handhabung der Dringlichkeitsfrist. Diese dürfe nicht wie an manchen nationalen Gerichten schlicht eine festgelegte Zeitspanne zwischen Kenntniserlangung der Rechtsverletzung und Antragserhebung darstellen, sondern müsse weitere Faktoren wie zum Beispiel das Führen von Vergleichsverhandlungen berücksichtigen (siehe für gegenteilige Rechtsprechung: OLG München, Beschl. v. 26.8.2003, Az. 29 U 3383/03). Insgesamt schienen die Unternehmen durchaus positive Erwartungen an das Einheitspatentgericht zu haben. Dafür sprechen insbesondere äußerst geringe „Opt-out“- Quoten von zum Teil unter 20%, die die Vortragenden für ihre Unternehmen angaben.

II. AIPPI Special

Bei der Veranstaltung der Deutschen Landesgruppe der „Association Internationale pour la Protection de la Propriété Industrielle“ wurde rechtsvergleichend ein Sachverhalt aus der Perspektive verschiedener Rechtsordnungen bewertet. Dabei bildete auch der Sachverhalt einen internationalen Schwerpunkt. Konkret ging es um grenzüberschreitende Verletzungshandlungen („Patent infringement by acts abroad“). Folgender Sachverhalt lag der Untersuchung zugrunde: A ist Herstellerin von Wischerblättern für Kraftfahrzeuge und hat ihren Sitz in China. Dort produziert sie die Wischerblätter und schickt sie an die Zwischenhändlerin B mit Sitz in Belgien. Diese wiederum vertreibt die Wischerblätter an Kunden in das Vereinigte Königreich, in die Niederlande und nach Deutschland. Die Wischerblätter erfüllen die technische Lehre eines Patents, welches nur Wirkung in den Endabnehmerländern entfaltet; somit im Vereinigten Königreich, in den Niederlanden und in Deutschland.

Zur Veranschaulichung des Ausgangsfalls siehe folgende Skizze:

Gefragt ist nach der patentrechtlichen Verantwortlichkeit der A im Vereinigten Königreich, in den Niederlanden und in Deutschland.

1. Vereinigtes Königreich

Zur rechtlichen Bewertung im Vereinigten Königreich trug Calum Smyth aus London vor. Insgesamt wird die Verantwortlichkeit der Herstellerin im Vereinigten Königreich am restriktivsten gehandhabt. Herr Smyth trug folgendes Zitat vor: „Just as a defendant’s knowledge of infringement is ordinarily irrelevant, so too is their intention. Infringement requires an entirely objective investigation…” (Pumfrey J in Palmaz’s Patents). Damit ist das Wissen der Herstellerin A in Bezug auf den weiteren Absatz der Wischerblätter unerheblich. Selbst wenn sie wüsste, dass die Wischerblätter durch B weiter in Länder verkauft werden, in denen sie ein Patent verletzen, begründet der Vertrieb an B mit diesem Wissen noch keine Verletzung. Die Patentverletzung müsse mithin stets nach einem objektiven Maßstab bewertet werden. Die Verletzung des Patents setze grundsätzlich auch eine objektive Verletzungshandlung im Inland, folglich im Vereinigten Königreich voraus. Eine Ausnahme zu diesem Grundsatz bilde das sogenannte „common design“. Dieses Institut ist sehr ähnlich zur deutschen Mittäterschaft. Das „common design“ setze dabei eine „participation“, also eine Mitwirkung voraus. Ferner müsse ein „agreement“, also eine Absprache vorliegen. Schließlich müsste es sich bei den Mitwirkungshandlungen um „tortious acts“, mithin um unerlaubte Handlungen handeln. Unter diesen Umständen könne eine patentrechtliche Haftung angenommen werden. Die Handhabung des Vereinigten Königreichs kann mithin wie folgt zusammengefasst werden: Grundsätzlich ist A als Herstellerin nicht patentrechtlich verantwortlich. Das gilt selbst dann, wenn sie von der Lieferung der Produkte durch B in Länder, in denen fremder Patentschutz besteht, wusste. Ausnahmsweise kann eine Haftung gegeben sein, soweit A und B in „common design“ gehandelt haben.

2. Niederlande

Die niederländische Lösung trug Anne Marie Verschuur aus Amsterdam vor. Frau Verschuur erläuterte zunächst die einschlägigen Art. 53, 70(9) des niederländischen Patentrechts, welche die Patentverletzung sowie die Haftung von Intermediären regeln. Ferner sei Art. 6:162 aus dem niederländischen Zivilrechtsgesetzbuch hinzuziehen, der die unerlaubte Handlung regele. Aus diesen Normen sei die Bewertung des Sachverhaltes nicht ohne weiteres zu entnehmen, weshalb Frau Verschuur auf einschlägige Rechtsprechung der niederländischen Gerichte abstellte. Zunächst trug Frau Verschuur zum Urteil „DC Rotterdam 1 October 2021 (LONGi/Hanwha)“ vor. Danach gäbe es keine allgemeine Obliegenheit, Patentverletzungen im Ausland zu verhindern. Gleichwohl seien grenzübergreifende Verfügungen wegen unerlaubter Handlungen oder wegen Verletzung ausländischer Patente möglich. Dieses Urteil sei jedoch auf den vorliegenden Fall nicht gänzlich übertragbar, da das streitgegenständliche Patent im zugrundeliegenden Fall ausländisch sei und in den Niederlanden keine Wirkung entfalte. Im Folgenden stellte die Rednerin das geltende Recht infrage. Nach Art. 4 Abs. 1 der Rom-II-Verordnung sei niederländisches Recht anwendbar, da der Schaden durch die Patentverletzung sich in den Niederlanden niederschlage. In einem anderen Fall „DC Utrecht 15 August 2012 (Boehringer/TEVA)“ hatte ein niederländisches Unternehmen eine Marktzulassung für ein pharmazeutisches Produkt. Die verantwortlichen Personen waren sich dabei bewusst, dass ihr pharmazeutisches Produkt in Portugal unter den Patentschutz eines anderen Unternehmens fällt. Trotzdem erteilte das niederländische Unternehmen einer Konzernschwester die Erlaubnis, das pharmazeutische Produkt in Portugal zu vertreiben. Darin sah das Gericht eine vorwerfbare Verletzungshandlung. In einem weiteren Fall „DC The Hague 29 September 2020 (Novartis/Mylan)“ erging gegen ein niederländisches Unternehmen eine nationale Unterlassungsverfügung. Das Gericht stellte fest, dass eine französische Schwestergesellschaft des Konzerns grundsätzlich nicht rechtswidrig handele, wenn sie Verletzungshandlungen anderer Schwesterunternehmen in anderen Ländern erleichtert oder fördert. Die Beteiligung an einer Patentverletzung könne jedoch trotzdem eine unerlaubte Handlung darstellen. Das gelte gerade dann, wenn das Unternehmen eine ausländische Patentverletzung vorsätzlich fördere oder erleichtere. Schließlich entschieden die niederländischen Richter in dem Verfahren „CoA The Hague 15 November 2022 (Pharmathen/Novartis)“, dass ein niederländisches Unternehmen für eine Patentverletzung im In- und Ausland verantwortlich sei. Dies rühre unmittelbar aus dessen führender Rolle in der kommerziellen Ausbeutung. Dies gelte, obwohl die Verletzungshandlungen ursprünglich von einem anderen Unternehmen des Mutterkonzerns in Griechenland begangen wurden.

3. Deutschland

Herr Dr. Jan Dombrowski schilderte die deutsche Bewertung des Sachverhaltes. Dafür seien insbesondere die Entscheidungen „Abdichtsystem“ (BGH, Urteil v. 16.5.2017, Az. X ZR 120/15) und „Ultraschallwandler“ (BGH, Urteil v. 8.6.2021, Az. X ZR 47/19) maßgeblich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei zunächst die bloße Belieferung einer Abnehmerin im Ausland nicht als Verletzungshandlung zu qualifizieren. Andererseits sei eine Verletzung jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Herstellerin als Mittäterin oder Teilnehmerin an einer Verletzungshandlung der Abnehmerin zu qualifizieren sei. Eine Anstiftung sei jedoch nur dann anzunehmen, wenn der Vorsatz und die Möglichkeit einer aktiven Steuerung der Geschehnisse vorlägen. Die Beihilfe setze voraus, dass die Abnehmerin die Verletzungshandlung vorsätzlich begehe und die Herstellerin vorsätzlich in Bezug auf die Patentverletzung und die Hilfshandlung handele. Wie allerdings das Verhalten der Herstellerin zu bewerten sei, wenn diese nur fahrlässig patentverletzende Produkte an Abnehmer liefere, wurde in der „Abdichtsystem“-Entscheidung des BGH beurteilt. Danach sei eine ausländische Herstellerin (in diesem Fall A) dann verantwortlich, wenn sie bei Lieferung des Produkts in das Inland durch die Abnehmerin konkrete Anhaltspunkte für die Lieferung habe. Dafür reichen nicht bloße Vermutungen oder Spekulationen, sondern konkrete Umstände müssten eine Lieferung in das Inland nahelegen. Als konkrete Anhaltspunkte reichen dabei z.B. nicht aus, dass die Abnehmerin im Zielland tätig sei oder bereits ähnliche Produkte in das Zielland geliefert hatte. Selbst eine Deutsche Montage- oder Betriebsanleitung seien nicht ausreichend konkrete Anhaltspunkte, da eine Lieferung in andere deutschsprachige Länder möglich sei. Eine Kombination solcher Indikationen könnte jedoch wiederum eine Lieferung in das Zielland nahelegen. Ausreichend konkreter Anhaltspunkt sei dahingegen, dass die Abnehmerin die Produkte in einer solchen Anzahl abnehme, dass mit Rücksicht auf die Absatzmärkte der Abnehmerin ein Weiterverkauf in den nicht-deutschen Raum unwahrscheinlich sei. Ein ausreichend konkreter Anhaltspunkt sei ferner anzunehmen, wenn das Produkt nur im Zielland weiterverarbeitet werden könne. Außerdem komme der Herstellerin A eine Nachforschungspflicht zu, soweit sie z.B. durch eine Berechtigungsanfrage oder sonstige Warnung Anhaltspunkte für die Verletzungsmöglichkeit im Inland erhalte. In diesem Falle habe sich die Herstellerin bei den Abnehmern über den weiteren Vertrieb der Produkte zu informieren und notfalls die Belieferung einzustellen.

4. Fazit

Die Rechtsprechung im Vereinigten Königreich ist deutlich zurückhaltender in der Annahme einer Verletzungshandlung durch Absätze im Ausland. Hier kommt grundsätzlich keine Verletzungshandlung in Betracht, selbst wenn die Herstellerin von der Lieferung in das Inland Kenntnis hat. Etwas anderes gilt nur, soweit ein „common design“ vorliegt, eine Art mittäterschaftlicher Hand-lung. Die niederländische Rechtsanwendung lässt dagegen nicht so eine klare Abgrenzung zu. Jedenfalls ist eine Verletzung nicht dann schon anzunehmen, wenn eine Förderung oder Erleichterung von Verletzungshandlungen anderer Unternehmen im Ausland vorliegt. Nach der deutschen Rechtsprechung liegt zumindest dann eine Rechtsverletzung unstreitig vor, wenn sich die Herstellerin durch eine Mittäterschaft oder Teilnahme an der Verletzungshandlung betei-ligt. Auch bei fahrlässigem Absatz an eine Zwischenhändlerin ist eine Haftung möglich, soweit konkrete Anhaltspunkte die Patentverletzung nahelegen.

 

 

 

Vervielfältigung und Bearbeitung – dasselbe oder das Gleiche?

Das Generalthema widmete sich dem neu geschaffenen § 23 UrhG und der Frage, ob das darin enthaltene Bearbeitungsrecht, insbesondere unter Berücksichtigung der „Metall auf Metall“ (BGH, Vorlagebeschl. v. 14.09.2023, Az. I ZR 74/22) und „Porsche 911“ (BGH, Urt. v. 07.04.2022, Az. I ZR 222/20) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, vollständig im Vervielfältigungsrecht aufgeht. Während die urheberrechtliche Einordnung des Samplings Wissenschaft und Rechtspraxis seit 20 Jahren beschäftigt, reiht sich auch der Rechtsstreit um den Ursprungsporsche (Modell 365) und dessen Nachfolgemodell (Modell 911) in dieselben schwierigen Rechtsfragen ein: Wie reagiert das deutsche und europäische Recht auf die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken in abgewandelter Form?

Auswirkungen auf Verwertungsebene

Den Auftakt machte Herr Prof. Dr. Benjamin Raue mit einer dogmatischen Einordnung des Bearbeitungsrechts im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter einer kritischen Berücksichtigung des vollharmonisierenden Ursprungs der Bearbeitung aus der InfoSoc-Richtlinie. Zur übergeordneten Frage, ob das Bearbeitungsrecht aus § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG in dem Vervielfältigungsrecht nach § 16 UrhG vollständig aufgeht, betonte Prof. Dr. Benjamin Raue gleich zu Beginn seines Vortrags die Wichtigkeit einer harmonisierungsfreundlichen Auslegungsperspektive, da es rückblickend bei der Umsetzung des EU-Rechts auffallend häufig zu nationalen Alleingängen gekommen ist. So ist beispielsweise die Ausgestaltung der öffentlichen Zugänglichmachung in § 19a UrhG und der Rückgriff auf Innominatfälle gemäß § 15 Abs. 2 UrhG im Bereich des Framings und Verlinkungen eine solche nationale Eigenart (siehe hierzu auch Wasnick, CIPReport 2023, 27, 32). Ein ähnlich gelagertes Problem ergibt sich ebenfalls mit der konkreten Ausgestaltung des § 23 UrhG, mit dem vermeintlich ein eigenständiges Verwertungsrecht (Bearbeitungsrecht) geschaffen wurde, welches sich dann bei der konkreten Anwendung allerdings an den vollharmonisierenden EU-Vorgaben und der EuGH-Rechtsprechung orientieren müsste.

Vor Inkrafttreten der InfoSoc-RL musste im deutschen Urheberrecht für eine Vervielfältigung ein übereinstimmender Gesamteindruck mit dem Ursprungswerk vorliegen und es sich um eine unwesentliche Abänderung handeln. Die Bearbeitung hingegen setzte eine wesentliche Veränderung des Ursprungswerkes voraus, die sich jedoch noch in dessen Schutzbereich befand. Grundsätzlich sieht die InfoSoc-RL kein eigenständiges Bearbeitungsrecht vor. Vielmehr umfasst das Vervielfältigungsrecht gemäß Art. 2 InfoSoc-RL ausdrücklich alle neuen Gestaltungsformen, die erkennbar einen Bezug zum Originalwerk aufweisen, auch wenn es sich dabei lediglich um Werkteile handelt. Den weiten Schutzbereich des Vervielfältigungsrechts im Sinne des Art. 2 InfoSoc-RL bestätigt der EuGH in ständiger Rechtsprechung seit seiner „Infopaq“-Entscheidung (EuGH, Urt. v. 16.07.2009, Az. C-5/08, Rn. 37 ff.). Nach den Vorgaben der InfoSoc-RL ließe sich daher feststellen, dass auch bearbeitete Formen eines Werkes von den Ausschließlichkeitsrechten des Urhebers umfasst sein müssen. In Frankreich und Belgien habe sich der jeweilige Gesetzgeber gegen ein eigenständiges Bearbeitungsrecht entschieden, indem das Vervielfältigungsrecht auch Nutzungen in abgeänderter Form umfasst.

Für die Ebene der Verwertungsrechte lassen sich daher grundsätzlich zwei Standpunkte vertreten. Zum einen kann ein eigenständiges Bearbeitungsrecht geschaffen werden, wodurch die Nutzung eines Werkes in abgewandelter Form geregelt wird. Hierbei seien allerdings die zwingenden Vorgaben des Unionsrechts zu berücksichtigen, sofern eine Nutzungshandlung in den vollharmonisierten Bereich der Verwertungsrechte fällt. Vorzugswürdiger sei es daher, den Anwendungsbereich der Vervielfältigung im Sinne der InfoSoc-RL dahingehend zu erweitern, dass hiervon auch Nutzungshandlungen eines Werkes in abgeänderter Form umfasst werden. Letztlich handle es sich inhaltlich um einen „Streit um Worte“, der schon aus pragmatischen Gründen dahingehend gelöst werden sollte, § 23 UrhG nicht als eigenständiges Bearbeitungsrecht, sondern lediglich als Schutzbereichsbestimmung einzuordnen. Ein solcher Ansatz lässt sich auch in den Entscheidungen „Porsche 911“ (Rn. 54) und „Vitrinenleuchte“ (BGH, Urt. v. 15.12.2022, Az. I ZR 173/21, Rn. 27) des BGH erkennen, indem er feststellte, dass jede Bearbeitung im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG zugleich eine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG darstellt. Die durch den Bundesgerichtshof dennoch vorgenommene formelle Unterscheidung zwischen Bearbeitung und Vervielfältigung interpretierte der Vortragende überwiegend als historische Referenz. Auf der Ebene der Verwertungsrechte komme § 23 Abs. 1 UrhG daher lediglich eine klarstellende Funktion zu. Hierfür spreche auch, dass § 15 UrhG das Bearbeitungsrecht nicht erwähnt. Prof. Dr. Benjamin Raue stellte zusammenfassend dar, dass das „alte“ Drei-Stufen-Modell „Vervielfältigung – Bearbeitung – freie Benutzung“ sich in ein zweistufiges Modell „Vervielfältigung – freie Benutzung“ gewandelt habe.

Auswirkungen auf der Ebene des Schutzbereichs

Die Abgrenzungsfrage, wann eine abgewandelte Werknutzung noch in den Schutzbereich des Ursprungswerkes eingreift oder eine freie Benutzung vorliegt, wurde im nationalen Recht unter § 24 UrhG aF mithilfe der Verblassensformel bestimmt. Fraglich ist, ob die Verblassensformel unter Berücksichtigung der EuGH-Vorgaben noch uneingeschränkt innerhalb des neuen § 23 Abs. 1 UrhG angewandt werden kann, oder ob es nicht einer modifizierten Verblassensformel bedarf.

Nach den beantworteten Vorlagefragen (EuGH, Urt. v. 29.07.2019, Az. C-476/17) im „Metall auf Metall“-Rechtsstreit ergeben sich drei Vorgaben des EuGH, wobei erstere bereits seit der „Infopaq“-Entscheidung feststehe: der Schutzbereich eines Werkes erstreckt sich nur auf solche Übernahmen, die an der Originalität des Ursprungswerkes teilhaben (a), zudem müssen die originellen Züge in der neuen Gestaltung erkennbar sein (b) und bei der Abgrenzung sind zwingend die Ebenen des Schutzbereichs und der Schranken zu trennen (c). Zum Abschluss seines Vortrags ging Herr Prof. Dr. Benjamin Raue auf die „neuen“ Abgrenzungskriterien des EuGH ein und ordnete diese im Kontext der (modifizierten) Verblassensformel ein.

Die Erkennbarkeit – ein normatives oder empirisches Abgrenzungskriterium?

Die durch den EuGH geforderte Erkennbarkeit könne dahingehend interpretiert werden, dass auf einer ersten Stufe die faktische Wahrnehmbarkeit von schöpferischen Elementen des Ursprungswerkes festgestellt werden müsse. Ist dies der Fall, so folge auf einer zweiten Stufe die eher inhaltlich wertende Frage, ob es wahrnehmbare Unterschiede zum Ausgangswerk gebe, womit der Schutzbereich bestimmt werde. Dabei kann die Wahrnehmbarkeit in den meisten Fällen oftmals angenommen werden und diene mehr als eine Art Grobfilter, etwa für Fälle, in denen ein Foto als ein sehr kleiner Bestandteil eines großen Foto-Mosaiks übernommen werde.

Auf der (zweiten) Wertungsebene der Erkennbarkeit ergeben sich nach Prof. Dr. Benjamin Raue aufgrund der „Porsche 911“-Entscheidung jedoch gleich mehrere Problemkreise. Innerhalb des wertenden Vergleichs zwischen dem Porsche Modell 365 und Porsche 911 der Baureihe 991 lehnte der BGH eine Wiedererkennbarkeit der eigenpersönlichen Merkmale des Werkes (Porsche 365) in der Karosserieform des Porsche 911 ab und begründete dies unter anderem damit, dass es für den „durchschnittlichen Autokäufer“ nicht erkennbar sei (Rn. 63). Bei der Schutzbereichsbestimmung sollte nach Herrn Prof. Dr. Benjamin Raue allerdings gerade nicht, wie beispielsweise im Markenrecht üblich, auf durchschnittliche Rezipienten abgestellt werden, sondern ein normativer Maßstab zu einem Wertungsergebnis führen. Je größer die Schöpfungshöhe der übernommenen Elemente sei, desto größer entfalte sich auch der Schutzbereich auf wesentliche Änderungen des Ursprungswerkes. Bei Werken mit sehr geringer Schöpfungshöhe sei der Schutzbereich dementsprechend klein zu halten und auf fast identische Übernahmen zu beschränken. Für eine solche normative Wertung könne daher nicht auf durchschnittliche Nutzer abgestellt werden, sondern es müsse auf die Perspektive der jeweiligen Verkehrskreise abgestellt werden, die für künstlerische Gestaltungen aufgeschlossen sind.

Gleichwohl könne auf der ersten (feststellenden) Ebene der Wahrnehmbarkeit auf durchschnittliche Rezipienten, wie durchschnittliche Autokäufer, abgestellt werden. Denn sofern urheberrechtlich geschützte Werkelemente erst gar nicht (wieder-) erkennbar seien, könne sich der Rechtsverkehr auch nicht an dessen Ausschließlichkeitsrechten orientieren und ausrichten.

Gesamt- oder Mosaikbetrachtung?

Wenn es für die Beurteilung des Abstands zwischen Ursprungswerk und der neuen Schöpfung mit alten abgewandelten Werkelementen auf die Beurteilungsperspektive der Verkehrskreise ankommt, müsse in einem letzten Schritt noch geklärt werden, welcher Maßstab bei der Beurteilung angelegt werden muss.

Dem BGH nach ist „ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind“ („Vitrinenleuchte“, Rn. 29; „Porsche 911“, Rn. 57) maßgeblich. Beide Entscheidungen hatten allerdings die Gemeinsamkeit, dass jeweils einzelne Gestaltungselemente nicht schutzfähig waren, sondern lediglich deren Kombination, weshalb es auch nur folgerichtig gewesen sei, beide Fallgestaltungen nur im Wege einer Gesamtschau zu beurteilen. Herr Prof. Dr. Benjamin Raue warf sodann die Frage auf, ob tatsächlich nur der Gesamteindruck das entscheidende Kriterium sein muss, oder ob nicht auch einzelne, schutzbegründende Elemente im Vergleich berücksichtigt werden können. Hierzu vertrat er die Ansicht, dass auch einzelne Werkelemente, insbesondere im Bereich der Bildbearbeitung und Memes, berücksichtigt werden müssten. Abschließend stellte er hierzu ein Prüfungsschema im Sinne einer modifizierten Verblassensformel vor, nach dem, sofern lediglich der Gesamteindruck des Ursprungswerkes urheberrechtlichen Schutz genießt, lediglich die Gesamteindrücke miteinander zu vergleichen seien. Bei selbstständigen, schutzfähigen Werkelementen müsse allerdings unterschieden werden. Handelt es sich um eine nahezu identische Übernahme, liegt eine Teilvervielfältigung vor, die nur durch die Schrankensystematik gerechtfertigt werden könne. Bei einer abgewandelten Übernahme ist ein Vergleich des Gesamteindrucks des übernommenen Teils anzustellen.

„Raue hat immer Recht“

Den humoristischen Einstieg nutze Herr Prof. Dr. Matthias Leistner, um sich der dogmatischen Herleitung anzuschließen und seinen Vortrag anknüpfend auf mögliche Folgeprobleme zu fokussieren. Hierzu griff er nochmals das Kriterium der Erkennbarkeit auf, welches auf unionsrechtlicher Ebene durch den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts determiniert ist und eine verhältnismäßige Abwägung der betroffenen Rechte erfordert. Verfehlt sei es daher, wie im Lauterkeits- oder Designrecht auf durchschnittliche Rezipienten abzustellen. Die Wiedererkennbarkeit sei gerade kein Begriff der Alltagssprache, sondern ein spezifischer urheberrechtlicher Fachbegriff. Eine Bewertung aus Perspektive eines durchschnittlichen Nutzers sei daher nicht nur systematisch verfehlt, sondern führe in der Konsequenz im Einzelfall sowohl zu Schutzlücken als auch zu einem Überschutz im Hinblick auf angemessene Freihaltebedürfnisse, die nur in einer normativen Gesamtbetrachtung gewürdigt werden können.

Anwendbarkeit auf Leistungsschutzrechte

Sodann widmete er sich der Frage, ob die „neue“ Dogmatik des Bearbeitungsrechts auch für die Randbereiche des Urheberrechts, insbesondere die Leistungsschutzrechte gelten kann. Denn anstelle eines Bearbeitungsrechts kennt beispielsweise die vollharmonisierte Systematik der Computerprogramme nur ein Umarbeitungsrecht. Die Computerprogramm-RL nennt als Konfliktkreise für die Vergabe des Leistungsschutzrechts den Fortschritt durch Innovation und die Interaktivität von Computerprogrammen, die letztlich ein Freihaltebedürfnis für neue Computertechnologien begründet, die auf bereits bestehende Programme aufbauen. Insofern könnte die EuGH-Vorlage des BGH im Verfahren „Action Replay“ (BGH, Vorlagebeschl. v. 23.02.2023, Az. I ZR 157/21) richtungsweisend und einen Vorbildcharakter für die Leistungsschutze sein. Folgt man dem EuGH in seiner Methodik der richtlinienübergreifenden Auslegung, wie dies beispielsweise auch für den europäischen Werkbegriff vorgenommen wurde, so könnten sich im Ergebnis keine Unterschiede zwischen dem urheberrechtlichen Bearbeitungsrecht und dem Umarbeitungsrecht im Sinne der Computerprogramm-RL ergeben. Um die genaue Reichweite des Umarbeitungsrechts für Fallkonstellation wie im „Action Replay“-Fall zu bestimmen, in denen nicht in den eigentlichen Programmcode eingegriffen wird, sondern lediglich flexible programmimmanente Variablen im Arbeitsspeicher umgewandelt werden, können die aktuellen Entwicklungen des Kernurheberrechts demnach Beachtung finden. Insoweit sollte das Vervielfältigungsrecht das Umarbeitungsrecht „kannibalisieren“.

Doch die Frage der Reichweite des Schutzbereich bei veränderten Nutzungen von Leistungsschutzrechten stellt sich nicht nur im Bereich der Computerprogramme, sondern beispielsweise auch im Bereich der Datenbanken oder des Tonträgerherstellerrechts. Eine normative Wiedererkennbarkeit, die auch für Leistungsschutzrechte Anwendung finden könnte, würde insofern zu einer Rechtsangleichung der Randbereiche des Urheberrechts führen.

Eine derartige Rechtsangleichung kann nach Herrn Prof. Dr. Matthias Leistner jedoch auch zu Folgeproblemen und Gefahren führen. So ist das Urheberrecht im engeren Sinne durch die persönlich-künstlerischen Züge (Originalität) des Urhebers geprägt, wohingegen Leistungsschutzrechte mehr durch marktorientierte Motivationen geprägt sind. Ein Grund mehr für eine harmonisierende Angleichung könnte außerdem der Umstand sein, dass das aktuelle Datenbankrecht weder eine Bearbeitung, noch eine Umarbeitung kennt.

Weitere Folgeprobleme im Bereich der bildenden Kunst?

Ein weiterer (altbekannter) Problemkreis ergibt sich sowohl durch „Porsche 911“ als auch „Vitrinenleuchte“, da diese neue Grenzfälle für den urheberrechtlichen Werkschutz im Bereich der bildenden Kunst darstellen. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit des kumulativen Schutzes eines Schutzgegenstandes als urheberrechtliches Werk und Design. Basierend auf der „Cofemel“-Entscheidung (EuGH, Urt. v. 12.09.2019, Az. C-683/17) des EuGH machte Prof. Dr. Matthias Leistner darauf aufmerksam, dass es in der nationalen Rechtsprechung eine Tendenz zur Totalüberschreitung beider Rechtsgebiete gebe und es zu einer Vermischung der jeweiligen Schutzvoraussetzungen komme (siehe hierzu auch Hartwig, GRUR 2022, 1023).

Der BGH entschied sich in „Vitrinenleuchte“ für eine (mittlerweile) durchaus gängige Methode, indem er es offenlies, ob die streitgegenständliche Leuchte urheberrechtlichen Werkschutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG genießt, da jedenfalls aufgrund einer geringen Schöpfungshöhe lediglich ein enger Schutzbereich vorläge (Rn. 16, 25). Insbesondere sollte auf Ebene der Verwertungsrechte darauf geachtet werden, dass es bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung gerade nicht zu einer Vermischung der verschiedenen Schutzvoraussetzungen komme, da es im Designrecht aus guten Gründen bereichsspezifische Schranken gebe, die nicht zwangsläufig durch einen engen Schutzumfang ersetzt werden können.

Auswirkungen im Bereich der Schrankensystematik

Mit dem dritten Tagungsvortrag widmete sich Frau Dr. Viktoria Kraetzig dem Grundrechtskonflikt, der bei der Kunstschaffung zwangsläufig auftritt, denn neue Kunst baut auf alter Kunst auf. Innerhalb der Ebene der Grundrechte streitet auf beiden Seiten die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG. Doch auch im Verhältnis Urheberrecht und Kunstfreiheit entstehe ein Konflikt, da ersteres die widerstreitenden Interessen der Werke grundsätzlich aus der Perspektive des älteren Werkes, in dessen Schutzbereich eingegriffen wurde, beurteilt. Die Kunstfreiheit hingegen kennt eine solche Perspektive nicht: Kunst ist Kunst. Durch die verfassungsrechtliche Überlagerung muss das Urheberrecht die Spannungslage der entgegenstehenden Kunstfreiheiten in einen angemessenen Ausgleich bringen. Hierzu komme insbesondere die Schranke zum Zweck der Karikatur, Parodie und des Pastiches nach § 51a UrhG in Betracht.
Neben der Kunstfreiheit komme zudem die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG als zu berücksichtigendes Grundrecht in Betracht.

Das Werk im Werk

Sinn und Zweck der neu eingeführten Schranke des § 51a UrhG sei das Spiel mit Imitation und Differenz, indem eine geistig-künstlerische Auseinandersetzung des neuen Werkes mit dem älteren Werk vorgenommen werden muss. Nach der Konzeption des Gesetzgebers handelt es sich dabei um eine kunstfreiheitsfreundliche Ausgestaltung, die insbesondere künstlerische, gesellschaftliche und politische Freiheitsbedürfnisse berücksichtigen und privilegieren soll. Bei der Frage, inwieweit der Eingriff in den Schutzbereich des älteren Werkes gerechtfertigt ist, seien demnach die Grundrechte zu berücksichtigen, wodurch es zu einer grundrechtsdogmatischen Eröffnung des urheberrechtlichen Schutzbereichs komme. Innerhalb des § 51a UrhG müssten demnach zwei Prüfungsebenen berücksichtigt werden.

Zunächst sei auf der (ersten) Begriffsebene festzustellen, ob sich das neue Werk überhaupt im Schutzbereich der Kunstfreiheit oder der Meinungsfreiheit bewegt. Frau Dr. Viktoria Kraetzig betonte in diesem Zusammenhang, dass diese grundlegende Frage besonders auch im Kontext der Digitalisierung bedacht werden muss, denn nicht jede Werknutzung dient der (künstlerischen) Kommunikation, sondern oftmals auch nur der Konsumteilhabe. Es komme demnach auf dieser ersten Prüfungsebene auf den konkreten Verwendungszusammenhang des neuen Werkes an. Bezugnehmend auf Jannis Lennartz (EuGRZ 2022, 482, 488) ergeben sich drei Fallgruppen: bei dem bloßen Konsum eines Werkes, beispielsweise durch das Hochladen auf einer Plattform, sei der grundrechtliche Schutzbereich schon gar nicht eröffnet. In den Fällen des „Sprechens über ein Werk“ und „Sprechens durch ein Werk“ sei der Schutzbereich der Kunst- und Meinungsfreiheit jedoch eröffnet. In einem zweiten Zwischenschritt müsse noch auf der Begriffsebene festgestellt werden, ob es sich bei dem neuen Werk um eine veränderte Nutzungsform des alten Werkes handle. Allerdings muss es sich bei der Neuschaffung gerade nicht um ein neues Werk im urheberrechtlichen Sinn handeln, sodass jede Art der transformativen Auseinandersetzung unter die Schranke des § 51a UrhG fällt. Speziell für den Begriff des Pastiche legte der BGH im „Metall auf Metall“-Rechtsstreit dem EuGH die Frage vor, wann genau eine solche Nutzung zum Zwecke des Pastiches erfolgt und ob bei der Prüfung eine subjektive Verwendungsabsicht oder der Eindruck von Dritten maßgeblich ist. Frau Dr. Viktoria Kraetzig vertrat hierzu die Ansicht, dass aus Gründen der Rechtssicherheit der Eindruck Dritter maßgeblich sein müsse, da es anderenfalls zu einer missbräuchlichen Berufung auf die Schranke des § 51a UrhG kommen könnte.

Die zweite Ebene bildet die Abwägungsebene, auf der es zur umfassenden Interessensabwägung komme. Dabei bewegen sich die nationalen Gerichte im Mehrebenensystem, sodass nicht nur die nationalen Grundrechte bei der Anwendung des Urheberrechts berücksichtigt werden müssen. Als europarechtlicher Überbau haben Art. 5 Abs. 3 Buchst. k InfoSoc-RL, die GRCh und die EMRK eine weitere Ausstrahlungswirkung. Insbesondere komme es innerhalb der Abwägungsebene der widerstreitenden Interessen auf die Angemessenheitsprüfung an. Hierzu betonte Frau Dr. Viktoria Kraetzig zum Abschluss ihres Vortrags nochmals die Entwicklungen des Urheberrechts, sodass Urheberrechtler*innen in der heutigen Zeit auch Verfassungsrechtler*innen sein müssen.

Freie Benutzung und unfreie Bearbeitung in der urheberrechtlichen Praxis

Als Abschluss des Tagungspanels befasste sich Herr Dr. Felix Stang mit den großen Herausforderungen der urheberrechtlichen Praxis, die die aktuellen Entwicklungen im Urheberrecht auslösen. Durch den Wegfall des § 24 UrhG aF und der Einführung der sogenannten modifizierten Verblassensformel sei es derzeit in der anwaltlichen Praxis äußerst schwierig, verlässliche Prognosen über mögliche Prozessausgänge treffen zu können. Der BGH hat in seinen Entscheidungen „Porsche 911“ und „Vitrinenleuchte“ zwar ein dreistufiges Prüfungsschema skizziert, welches allerdings bisweilen mit Blick auf den anzuwendenden Beurteilungsmaßstab sehr konturenlos bleibt. So sei es wenig hilfreich, dass der BGH in seiner Begründung der Wiedererkennbarkeit in „Porsche 911“ selbst noch von einem Verblassen spricht (Rn. 58). Auch in der „Vitrinenleuchte“-Entscheidung äußerte sich der BGH nicht zum zentralen Abgrenzungskriterium der Wiedererkennbarkeit und umschiffte so das eigentliche Problem der Unterscheidung zwischen freier Benutzung und unfreier Bearbeitung.

Fraglich bleibt nach den zwei Urteilen daher, ob es beim bisherigen Maßstab der alten Verblassensformel bleibe und diese lediglich sprachlich neu eingekleidet wurde, oder ob eine signifikante Verschärfung eintrete. Freilich befinde man sich nach der Gesetzesänderung in einer Übergangsphase, die immer auch mit einer gewissen Rechtsunsicherheit verbunden sei, sodass mit einer sukzessiven Präzisierung der Wiedererkennbarkeit zu rechnen sei. Herr Dr. Felix Stang wies dabei auf eine schwedische Vorlagefrage hin, die der deutschen Vorlagefrage, mit der mittelbar eine Bestätigung der modifizierten Verblassensformel erhofft wird, zuvorkam. Zwar unterscheiden sich die Vorlagefragen zur Wiedererkennbarkeit grundsätzlich nicht wesentlich voneinander. Jedoch bliebe es abzuwarten, ob die neue nationale modifizierte Verblassensformel im Sinne einer tatbestandsimmanenten Schutzbereichsbegrenzung Bestand haben werde. Mitunter könnte die Entscheidung des EuGH auch zu einem strengeren Beurteilungsmaßstab führen, der im nationalen Recht bisher keine Anwendung gefunden hat.

„Alles oder Nichts“ – oder Abgrenzungsvereinbarungen

Bei der Abgrenzungsfrage, ob eine anlehnende Werknutzung im Einzelfall eine gerechtfertigte freie Bearbeitung oder eine unzulässige unfreie Bearbeitung ist, handle es sich aus anwaltlicher Perspektive um eine klassische „Alles oder Nichts“-Entscheidung. Insbesondere für umfangreiche und lange Rechtsstreitigkeiten sei es aktuell nicht empfehlenswert, auf die modifizierte Verblassensformel zu setzen. Vielmehr sollte man sich streng nach den bisher bekannten Vorgaben des EuGH orientieren und für eine Prognose über den Prozessausgang in einem ersten Schritt die Grenzen des Vervielfältigungsrechts prüfen. Liegt eine solche Vervielfältigung vor, müsse die eingeführte Pasticheschranke gemäß § 51a UrhG berücksichtigt werden.

Alternativ zu einer solchen dogmatischen Risikoanalyse haben sich in der Praxis wegen des Zustands der Rechtsunsicherheit sogenannte urheberrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen durchgesetzt. Angelehnt an markenrechtliche Abgrenzungsvereinbarungen werden auf vertraglicher Ebene individuelle Maßstäbe definiert, die sich eng am jeweiligen Produktdesign orientieren. Beispielsweise wird bei Design-Ikonen ähnlich zur (alten) Verblassensformel vorgegangen. In einem ersten Schritt werden die urheberrechtlich prägenden Elemente des Werkes detailliert herausgearbeitet und das Gesamtwerk in seine Einzelbestandteile zerlegt. Danach wirdeine Klassifizierung bzw. Priorisierung der einzelnen Bestandteile aufgestellt, wonach welche Details dem Rechteinhaber besonders wichtig sind und welche eine eher untergeordnete Rolle für den Schutz darstellen. In einem dritten und letzten Schritt werde sodann ein Regelwerk über die Abgrenzungsfragen aufgestellt. Hiermit werde festgelegt, welche Kombinationen bei der Werknutzung und in welcher Anzahl gerechtfertigt sind. Hierzu betonte Dr. Felix Stang, dass solche individuellen Abgrenzungsvereinbarungen oder auch andere Lizenzierungsmodelle, die eine Umsatzbeteiligung vorsehen, insbesondere in einer unklaren Rechtslage vorzugswürdig und solche vertraglichen Parteivereinbarungen im Vergleich zum unsicheren Ausgang langwieriger Prozesse zu präferieren seien.

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Caman Derakhshan ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Gewerblichen Rechtsschutz von Herrn Prof. Dr. Jan Busche an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie Redakteur bei dusIP.

Lars Wasnick ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Gewerblichen Rechtsschutz von Herrn Prof. Dr. Jan Busche an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sowie Redakteur bei dusIP.

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